Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
auf. Er arbeitete im Gefängnis noch drei Jahre daran, dann ließ er ihn unfertig liegen.
Der Autor dieser Italienreise hat wenig mit dem göttlichen Marquis zu tun, den alle kennen. Die Philosophie hatte noch keinen Einzug ins Boudoir gehalten, und der Sadismus, den er schon damals im Leben praktizierte, blieb einstweilen im Untergrund. Der Verfasser hält sich in diesem Erstlingswerk ganz an die Konventionen des Genres, das auf eine lange Tradition zurückblicken konnte. Wie der Untertitel besagt, den er nach langem Schwanken wählte, wollte Sade verschiedene «dissertations critiques, historiques et philosophiques» über Florenz, Rom und Neapel schreiben, wobei er den Gebräuchen, Sitten und Gesetzesformen besondere Aufmerksamkeit zu widmen gedachte. Es war das typische Programm eines aufgeklärten Reisenden, der, wie es sich gehörte, der Gelehrsamkeit wenig und der Philosophie umso größeren Raum gewähren wollte.
Im Paradies der Kunst überwog dann doch bei Graf Mazan das rein Deskriptive. Er reiste wie viele seiner Vorgänger hauptsächlich mit dem Ziel, so viele Kirchen, Museen, Paläste und Monumente wie möglich zu besichtigen. Das Ergebnis dieser Touren sind ellenlange Beschreibungen von Kirchen- und Profanbauten sowie endlose Verzeichnisse von Kunstwerken, die den Leser wegen ihrer Oberflächlichkeit und krassen Ignoranz erheblich langweilen. Er befand, dass einem die Tränen kämen, «wenn man diesen berühmten Tempel aller Götter sieht, dies wundervolle Pantheon, das Meisterwerk aus dem schönen Jahrhundert des Augustus mit den schönsten Bildwerken der Welt, das heute in eine unglückliche, nackte, kahle Kirche verwandelt ist und wo die Kleingeisterei des modernen Aberglaubens, wenn überhaupt, nicht über die verschwundene Magnifizenz des alten hinwegtröstet». Beim Besuch von Santa Costanza empfand Sade dagegen Gefühle, in denen seine Perversion durchscheint. Seiner Kenntnis nach waren die reichen Einkünfte des Klosters einst Papst Julius II. zugeflossen, der deshalb der Kirche so verbunden gewesen sei, dass er hier begraben zu werden wünschte. Der Kommentar hierzu lässt den späteren Romancier schon vorausahnen: «Es ist immer eine Art Genuß dabei, wenn ein alter Papst sich vorstellt, daß seine Asche nach dem Tod am selben Ort wie die einer hübschen Jungfrau liegen wird. Wahrscheinlich gestatten sich die Heiligen Väter nicht nur diesen Genuß, aber dieser ist doch einer, der ihnen bleiben würde.»
Ebenso ermüdend wie seine Beschreibungen sind die weitschweifigen historischen Betrachtungen voller Ungenauigkeiten, Fehler und Gemeinplätze, von denen der Text überquillt. Die im Titel angekündigte Kritik ist vor allem gegen seine französischen Vorgänger im Genre der Reisebeschreibung gerichtet. Als Sündenbock muss der Abbé Jérémie Richard herhalten, der 1766 eine Description historique et critique d’Italie veröffentlicht hatte. Er wird mit einer Heftigkeit widerlegt, die fast sadistisch zu nennen ist, wenn auch Gelehrte aller Zeiten dieser harmloseren Form des Lasters immer gern gefrönt haben. Die philosophie lässt der Autor auch in diesem Fall lieber beiseite, es sei denn, man wollte seine antiklerikalen Tiraden dazuzählen. In ihrer unwiderstehlichen Komik erreichen diese jedoch eher die entgegengesetzte Wirkung. Bei einem seiner Besuche in St. Peter ließ der Marquis sich zu folgenden Bemerkungen über den Apostel Peter hinreißen: «Er war einer der ersten Nichtstuer, die dem Abenteurer Jesus über den Weg liefen, und den dieser absurderweise für würdig befand, ihm zu folgen; bei dessen Schwiegermutter führte der neue Magier der Juden seine ersten Zauberkunststücke vor.» Die ersten Christen werden auf ebenso groteske Weise beschrieben: «Eine Versammlung von zerlumpten Vagabunden von wildem Aussehen, in der Haltung von Rasenden, die Seufzer ausstoßen und Verrenkungen machen.»
Im Zentrum der Reisebeschreibung sollten indes nach dem Programm des Autors die Sitten des Landes stehen. Sade wollte, so erklärte er, als perfekter Moralist darüber schreiben, da ein Reisender, der seiner Aufgabe gerecht werden wolle, nie von sich selbst, sondern nur von den Bewohnern des von ihm besuchten Landes sprechen dürfe. Sein Urteil über die Kastraten ist ein gutes Beispiel für diese Art von Moralismus: Er hielt sie für Monster ohne Reiz und wunderte sich, dass es Frauen gab, die sich in sie verliebten. Nur selten kommt er wirklich auf die italienischen Sitten zu sprechen.
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