Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Sphäre versetzte, wo der qualvolle Tod ihn zutiefst erotisierte: «Der Künstler hat die Grazie seines Modells bewahrt, und der Tod, der sie erstarren läßt, macht sie, wenn möglich, noch anziehender. Ihr von einem einfachen Tuch umhüllter Kopf ist mit einer etwas gewaltsamen Drehung zur Erde gewandt, aber man erkennt noch das Ausmaß ihrer letzten Todesqual. Ihre zarten Hände sind offen, nur ein paar Finger wie aus der Wirkung eines starken und plötzlichen Todeskrampfes heraus leicht gekrümmt. Es ist ein hingeworfener Leichnam … Aber man spürt noch die ganze Zartheit und Geschmeidigkeit eines jungen, siebzehn- oder achtzehnjährigen Geschöpfs, das ebenso verführerisch wie hübsch ist. Es herrscht eine so beeindruckende Wahrheit in diesem himmlischen Werk, daß man es nicht ohne Bewegung ansehen kann.» Kurz gesagt, für Sade übertraf das Marmorbild die Wirklichkeit und rief noch heftigere Empfindungen hervor, als es der Anblick des Leichnams vermocht hätte.
Kein einziges der in Rom besichtigten Kunstwerke übte eine vergleichbare Wirkung auf ihn aus, wie er selbst gestand: «Man möge mir verzeihen, zu sehr auf diesem Stück zu beharren. Mein Geschmack und mein Gefühl sind nur die eines Kunstliebhabers zweiten Ranges; ich erhebe keine Ansprüche. Aber ich gestehe, daß gerade das moderne Rom mir mehr Vergnügen bereitet und mich lebhaftere Gefühle hat empfinden lassen.» Selbst die berühmte Skulptur Berninis der Ludovica degli Albertoni in der nahen Kirche San Francesco a Ripa machte keinen ähnlichen Eindruck auf ihn. Sade ließ sich vom Namen des Künstlers nicht einschüchtern und erklärte, dass die heilige Frau, die Bernini in Ekstase (für Sade war es bezeichnenderweise eine Agonie) dargestellt hatte, den Vergleich mit der «schrecklichen Wahrheit» von Madernos heiliger Cäcilia nicht bestehen könne. Bernini war seiner Meinung nach der Faszination der Grazie erlegen und hatte sich deshalb der Wirklichkeit nicht genug angenähert. Hinter dem ästhetischen Urteil kommt indes die Perversion zum Vorschein, von der das Leben des Marquis gezeichnet war. Die Statue Madernos schien ihm gerade deshalb so schön, weil die Verbindung zwischen der Zartheit des kleinen Körpers und dem grausamen Tod, den er erduldet hatte, seine eigene perverse Erotik stimulierte. Um zu bestimmen, welches die wahre Stellung des Marquis in der Literaturgeschichte ist, muss man von der lapidaren Definition des Sadismus ausgehen, die der Psychiater Richard von Krafft-Ebing Ende des 19. Jahrhunderts gab: «So genannt nach dem berüchtigten Marquis de Sade, dessen obszöne Romane von Wollust und Grausamkeit triefen. In der französischen Literatur ist der Ausdruck ‹Sadismus› zur Bezeichnung dieser Perversion eingebürgert.»
Hiermit ist unser Thema aber noch nicht erschöpft. Eine lateinische Inschrift vor der Skulptur Madernos auf dem Paviment informiert, dass die Statue den Körper der Heiligen in der gleichen Stellung nachbildet, wie er gefunden worden war. Es sollen deshalb noch die historischen Umstände erwähnt werden, die zum Auftrag an Maderno führten. Ausgehend von einem Dokument Papst Paschalis’ I. (817–824) in seinem Besitz, begann Kardinal Paolo Camillo Sfondrato 1597 Restaurierungsarbeiten in seiner Titelkirche Santa Cecilia in der Hoffnung, die Gebeine der Heiligen, der die Kirche geweiht war, wiederaufzufinden. Am 20. Oktober 1599 hatte die Suche Erfolg. Man entdeckte einen weißen Marmorsarkophag, der im Inneren einen gut erhaltenen Sarg aus Zypressenholz enthielt, eben jenen Sarg, in dem Papst Paschalis I. im 9. Jahrhundert die Gebeine der christlichen Märtyrerin Cäcilia aus den römischen Calixtus-Katakomben hatte bestatten lassen. Sfondrato ließ den Sarg im Beisein von Zeugen öffnen. Man fand darin den Körper der Heiligen in der gleichen Position, wie er zur Zeit Papst Paschalis’ I. hineingelegt worden war. Kardinal Cesare Baronio, der bekannte Kirchenhistoriker, wurde hinzugezogen. Dieser verzeichnet in seinen Annales , dass er im Sarg zu Füßen der Heiligen blutbefleckte Stoffe mit verblichenen Goldfäden und Schleier, die den Körper bedeckten, gesehen habe. Durch diese Schleier habe man die Stellung des Körpers, der gleichsam wie im Bett liegend nach rechts gedreht war, erraten können. Auf Befehl Papst Clemens’ VIII., der sogleich herbeigeeilt war, durfte niemand die kostbaren Reliquien berühren. Sie wurden öffentlich zur Verehrung der Gläubigen in der Kirche Santa
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