Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
hatte für die Trasteveriner, die sich ihrer antiken Herkunft rühmten, nur Spott übrig, denn er schrieb an anderer Stelle: «Man trifft auch bei ihnen keine Spur von dem heroischen Charackter der alten Römer an. Die Neuern haben von ihren Vorfahren nichts als den Stolz übrig behalten, der ihnen so wenig zukommt und sich doch auf so mannigfaltige Art äußert.»
Trastevere war eines der größten und am dichtesten besiedelten Stadtviertel von Rom. Hier wohnten in der Mehrheit Schneider, Schuster, Sattler und andere kleine Handwerker, aber auch Tagelöhner und Arbeiter, die unregelmäßig in den an den Stadttoren beginnenden Weingärten beschäftigt waren. Dieser ausgesprochen populäre Charakter des Viertels kann eine Erklärung für den im 18. Jahrhundert aufgekommenen Glauben an die antike Abstammung seiner Einwohner geben, und da sich in der Zwischenzeit dort nichts geändert hatte, übernahm auch Gogol ungeprüft diese Legende. Archenholz hatte darauf hingewiesen, wie leicht die Leute hier zum Messer griffen. Gogol machte die gleiche Beobachtung, da er Zeuge eines Streits wurde, bei dem plötzlich ein Messer aufblitzte, das einer der Streitenden im Stiefelschaft versteckt hatte. Gogol bemerkte auch zwei andere Gepflogenheiten des Volks. Die erste war der Besuch der Osterien, von denen es unzählige innerhalb und außerhalb der Stadt gab. Sie waren meist ärmlich und ungepflegt, aber vor allem an Sonn- und Feiertagen überfüllt, wenn die Römer sich dort versammelten, «per far allegria», um Spaß zu haben.
Die zweite Leidenschaft des Volks war das Lotto, dem Gogol viele Seiten in der Schrift Rom widmet. Der Protagonist ist hier ein Mann aus dem Volk namens Peppe, der sich mit Notbehelfen durchs Leben schlägt, wobei er jedoch genug Geld verdient, um es dann im Lotto zu verspielen. Es gab keine Zahl, auf die er nicht gesetzt hätte. Besonders erheiternd an dieser Spielleidenschaft war die ausgeklügelte Methode, die Gewinnnummern aus den Ereignissen des täglichen Lebens zu erraten – und natürlich aus den Träumen. Peppe benutzte dazu ein dickes Traumbuch, wo jedem geträumten Gegenstand oder Ereignis eine Nummer entsprach. So träumte er einmal vom Satan, der ihn an der Nase (hier ist sie wieder, die Nase!) von einer Kirche in die andere schleppte bis hin zur Kirche Trinità dei Monti, in deren Nähe Gogol wohnte. Dort musste sich Peppe folgendes vom Teufel anhören: «Peppe, hier hast du deine Auskunft: Weil du zu San Pancrazio gebetet hast, werden deine Nummern nicht herauskommen.» Peppes Traum gab den Nachbarinnen natürlich Anlass zu großen Kommentaren, und da sie wie üblich mit lauter Stimme am Fenster redeten, konnte der fremde Dichter alles mitanhören. Peppe scherte sich indes nicht um das Geschwätz der Frauen. Er konsultierte nochmals sein Traumbuch und fand endlich die Lösung: Dem Teufel entsprach die Nummer 13, der Nase die 14, San Pancrazio die 30, summiert ergab dies 67. Er setzte auf alle vier Zahlen, aber sie kamen wie üblich nicht heraus, und Peppe hatte wieder einmal seine Einsätze verloren.
In dem schon häufiger erwähnten Brief an Maria Balabina erzählte ihr Gogol auch, dass er mehrmals Gelegenheit gehabt habe, den römischen Dichter Giuseppe Gioacchino Belli seine Sonette im römischen Dialekt vortragen zu hören. Er war begeistert davon, denn er fühlte, dass in diesen Sonetten das Leben der von ihm so geliebten Trasteveriner getreu nachgebildet war. Gogol wusste, dass Belli bisher keines seiner Sonette veröffentlicht hatte, sondern sie nur einem Publikum von Liebhabern in römischen Salons vorzutragen pflegte. Gogol hörte den Dichter wahrscheinlich im Salon der russischen Fürstin Zinaida Aleksandrowna Wolkonskaja, in dem er verkehrte. Die Fürstin war zum katholischen Glauben übergetreten und 1829 nach Rom übergesiedelt. Wie aber konnte Gogol von Sonetten begeistert sein, die im römischen Dialekt geschrieben waren? Gogol verstand ihn, wie man weiß, denn es finden sich Spuren davon sowohl in seinen Briefen als auch in der Schrift Rom. Solche Spuren sind den Belli-Spezialisten nicht verborgen geblieben, nicht zuletzt weil Gogol Bellis Namen als erster in Europa bekannt machte, lange bevor die Sonette nach dem Tod des Dichters im Druck erschienen.
Gogol machte während einer Schiffsreise nach Marseille die Bekanntschaft des berühmten französischen Kritikers Charles Augustin de Sainte-Beuve und erzählte ihm dabei vom römischen Dichter Giuseppe Gioacchino Belli.
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