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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hinaufgehen, Sir? Da oben ist ein sehr hübsches Zimmer, Sir.“
    „Danke“, sagte der Fremde und betrachtete ernsthaft Mr. Britains Frau. „Darf ich hier hereinkommen?“
    „Aber bitte sehr, wenn Sie möchten, Sir“, erwiderte Clemency und ließ ihn ein. „Was wünschen Sie, Sir?“
    Der Anschlag hatte seine Aufmerksamkeit erregt, und er las ihn.
    „Ausgezeichneter Besitz, Sir“, bemerkte Mr. Britain.
    Er gab keine Antwort, sondern drehte sich um, nachdem er ihn durchgelesen hatte, und betrachtete Clemency mit derselben Neugier wie zuvor. „Sie fragten mich …“, sagte er, sie noch immer anschauend.
    „Was Sie wünschen, Sir“, antwortete Clemency und wagte ihrerseits einen verstohlenen Blick.
    „Wenn Sie mir einen Schluck Bier geben“, sagte er und ging auf einen Tisch am Fenster zu, „und es mich hier trinken lassen, ohne daß ich Ihre Mahlzeit unterbreche, bin ich Ihnen sehr dankbar.“
    Während er das sagte, setzte er sich ohne weitere Diskussion hin und sah sich die Aussicht an. Er war ein unbefangener, kräftiger Mann in der Blüte des Lebens. Sein Gesicht war stark von der Sonne gebräunt und von dichtem, schwarzem Haar umrahmt, und er trug einen Schnurrbart. Als ihm das Bier vorgesetzt wurde, füllte er sich ein Glas ein und erhob es gutgelaunt auf das Haus, wobei er hinzufügte, als er das Glas wieder hinstellte:
    „Es ist ein neues Haus, nicht wahr?“
    „Nicht besonders neu, Sir“, antwortete Mr. Britain. „Etwa fünf, sechs Jahre alt“, sagte Clemency, die sehr entschieden sprach.
    „Ich glaube, ich hörte Sie Dr. Jeddlers Namen erwähnen, als ich hereinkam“, forschte der Fremde. „Dieser Anschlag erinnert mich an ihn, denn zufällig weiß ich vom Hörensagen und durch gewisse persönliche Beziehungen einiges von dieser Geschichte. – Lebt der alte Mann noch?“
    „Ja, er lebt noch, Sir“, sagte Clemency.
    „Hat er sich sehr verändert?“
    „Seit wann, Sir?“ erwiderte Clemency mit bemerkenswertem Nachdruck und Gefühl.
    „Seit seine Tochter – weggegangen ist.“
    „Ja! Seitdem hat er sich stark verändert“, sagte Clemency. „Er is alt und grau und ganz und gar nich mehr der alte, aber ich glaube, er is jetzt glücklich. Seit damals nimmt er sich seiner Schwester an und geht sie sehr oft besuchen. Das hat ihm direkt gutgetan. Zuerst war er furchtbar zusammengebrochen, und es konnte einem das Herz bluten, wenn man sah, wie er umherlief und auf die Welt schimpfte. Aber nach ein oder zwei Jahren trat eine große Wandlung zum Guten ein, und dann fing er an, gern über seine verlorne Tochter zu sprechen und sie zu loben, ja und die Welt dazu! Und er wurde nich müde, mit Tränen in den armen Augen zu sagen, wie schön und gut sie war. Er hat ihr dann verziehn. Das war ungefähr zu der Zeit, als Miss Grace heiratete. Erinnerst du dich, Britain?“
    Mr. Britain erinnerte sich sehr gut.
    „Die Schwester ist also verheiratet?“ entgegnete der Fremde. Er wartete einen Augenblick, ehe er fragte: „Mit wem?“
    Clemency hätte in ihrer Erregung bei dieser Frage beinahe das Teetablett umgekippt.
    „Haben Sie nie davon gehört?“ fragte sie.
    „Ich würde gern davon hören“, antwortete er, als er das Glas erneut füllte und es an die Lippen führte.
    „Ach, das is ’ne lange Geschichte, wenn man sie genau erzählt“, sagte Clemency, legte das Kinn in ihre linke Handfläche, stützte den Ellbogen auf die rechte Hand, als sie den Kopf schüttelte, und schaute auf die dazwischenliegenden Jahre zurück, als ob sie ins Feuer sähe. „Das wär ’ne lange Geschichte, ganz bestimmt.“
    „Aber kurzgefaßt“, schlug der Fremde vor.
    „Kurzgefaßt“, wiederholte Clemency in demselben nachdenklichen Ton und ohne sich eigentlich an ihn zu wenden oder sich bewußt zu sein, daß sie Zuhörer hatte. „Was wäre da zu sagen? Daß sie sich gemeinsam grämten und sich gemeinsam wie an eine Tote an sie erinnerten; daß sie so zartfühlend mit ihr waren, ihr niemals Vorwürfe machen würden, sie sich in Erinnerung riefen, wie sie immer gewesen war, und Entschuldigungen für sie fanden. Jeder weiß das. Ich bestimmt. Keiner besser“, fügte Clemency hinzu und fuhr sich über die Augen.
    „Und so“, lenkte der Fremde ein.
    „Und so“, fuhr Clemency mechanisch und ohne Änderung ihrer Haltung oder Verhaltensweise fort, „heirateten sie schließlich. Sie heirateten an ihrem Geburtstag – der morgen wiederkehrt –, sehr still, sehr bescheiden, aber sehr glücklich. Eines

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