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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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weiß, wie ihr Zuhause aussah, als sie wie seine Seele war, und wie es sich veränderte, als sie weg und verloren war. Lassen Sie mich mit ihr sprechen, wenn’s recht is!“
    Er betrachtete sie mitleidig und nicht ohne Verwunderung, machte aber keine zustimmende Geste.
    „Ich glaube nich, daß sie wissen kann“, fuhr Clemency fort, „wie aufrichtig man ihr verzeiht, wie man sie liebt, welche Freude es für sie wäre, sie wiederzusehn. Vielleicht hat sie Angst, nach Hause zu gehn. Vielleicht faßt sie sich ’n Herz, wenn sie mich sieht. Sagen Sie mir nur ehrlich, Mr. Warden, is sie bei Ihnen?“
    „Nein“, antwortete er kopfschüttelnd.
    Diese Antwort und sein Benehmen, seine schwarze Kleidung, seine stille Rückkehr und seine angekündigte Absicht, weiterhin im Ausland zu leben, erklärten alles. Marion war tot.
    Er widersprach ihr nicht; ja, sie war tot! Clemency setzte sich, verbarg ihr Gesicht auf dem Tisch und weinte.
    In diesem Augenblick kam ein grauhaariger, alter Herr völlig atemlos hereingelaufen, und er keuchte so heftig, daß man seine Stimme kaum als die von Mr. Snitchey erkennen konnte.
    „Du lieber Himmel, Mr. Warden!“ sagte der Rechtsanwalt und nahm ihn beiseite. „Welcher Wind – hat Sie –“ Er war selbst so getrieben, daß er nicht fortfahren konnte, sondern erst nach einer Pause schwach hinzufügte, „… hierhergetrieben?“
    „Ich fürchte, ein unheilvoller. Wenn Sie hätten hören können, was gerade vorgefallen ist – wie ich dringend gebeten und angefleht worden bin, Unmögliches zu tun –, welchen Kummer und welche Verwirrung ich mit mir herumtrage!“
    „Ich kann mir alles vorstellen. Aber warum sind Sie überhaupt hierhergekommen, mein guter Sir?“ entgegnete Snitchey.
    „Gekommen! Woher sollte ich wissen, wer dieses Haus führt? Als ich meinen Diener zu Ihnen schickte, schlenderte ich hier hinein, weil mir dieser Ort neu war und weil ich von Natur aus auf alles Neue und Alte, auf diese alten Schauplätze neugierig bin und weil er außerhalb der Stadt lag. Ich wollte erst mit Ihnen sprechen, bevor ich hinüber gehe. Ich wollte wissen, was die Leute zu mir sagen würden. Aus Ihrem Verhalten schließe ich, daß Sie mir davon erzählen können. Wenn es nicht wegen Ihrer verflixten Vorsicht wäre, besäße ich schon längst alles.“
    „Unsere Vorsicht!“ wiederholte der Rechtsanwalt. „Wenn ich für mich und den verstorbenen Craggs spreche“, dabei schüttelte Mr. Snitchey, sein Hutband betrachtend, den Kopf, „wie können Sie uns ernsthaft Vorwürfe machen, Mr. Warden? Es war zwischen uns vereinbart, daß dieses Thema nie wieder berührt werden sollte und daß es sich um ein Thema handelte, bei dem ernsthafte und nüchtern denkende Menschen wie wir (ich machte mir zu Ihren Bemerkungen damals eine Notiz) nicht in Konflikt geraten könnten. Unsere Vorsicht! Sir, als Mr. Craggs in dem vollen Glauben ins Grab stieg …“
    „Ich hatte ein feierliches Versprechen gegeben zu schweigen, bis ich wiederkehrte, ganz gleich, wann das sein würde“, unterbrach Mr. Warden, „und ich habe es gehalten.“
    „Nun, Sir, und ich wiederhole es“, erwiderte Mr. Snitchey, „auch wir waren zum Schweigen verpflichtet. Wir waren in unserer Pflicht gegenüber uns und einer Reihe Klienten (Sie eingeschlossen), die stumm waren wie die Fische, zum Schweigen verpflichtet. Es war nicht unsere Aufgabe, zu solch einem heiklen Thema Erkundigungen über Sie einzuziehen. Ich hatte meine Bedenken, Sir, aber es ist keine sechs Monate her, seit ich die Wahrheit weiß und mir versichert wurde, daß Sie sie verloren haben.“
    „Von wem?“ fragte sein Klient.
    „Von Dr. Jeddler selbst, Sir, der mir von sich aus dieses Geheimnis anvertraute. Er und nur er hat Jahr um Jahr die ganze Wahrheit gekannt.“
    „Und Sie kennen es?“ fragte der Klient.
    „Ja, Sir“, erwiderte Snitchey, „und ich habe auch Grund zu der Annahme, daß es morgen abend ihrer Schwester enthüllt wird. Sie haben ihr dieses Versprechen gegeben. Bis dahin erweisen Sie mir vielleicht die Ehre, Gast in meinem Haus zu sein, da Sie in Ihrem nicht erwartet werden. Um aber nicht in noch mehr Schwierigkeiten solcher Art zu geraten, wie Sie sie hier hatten, falls man Sie erkennt – obwohl Sie sich erheblich verändert haben; ich glaube, ich selbst wäre an Ihnen vorbeigegangen, Mr. Warden –, sollten wir lieber hier essen und am Abend weitergehen. Man kann hier sehr gut speisen, Mr. Warden; nebenbei bemerkt, Ihr eignes Grundstück.

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