Alle Weihnachtserzählungen
allein war und grübelnd in seinen Sessel fiel, welkte die frische Stechpalme an der Wand und warf abgestorbene Zweige ab.
Während das Dunkel und der Schatten hinter ihm an jener Stelle dichter wurden, wo es sich so schwarz zusammengebraut hatte, nahm es allmählich – oder es kam durch einen unwirklichen, unirdischen Prozeß dort hervor, der von keinem menschlichen Sinnesorgan verfolgt werden konnte – eine schreckliche Ähnlichkeit mit ihm an.
Gespenstisch und kalt, bleich im stumpfen Gesicht und an den bleiernen Händen, aber mit seinen Zügen und hellen Augen und seinem grauen Haar und in den düsteren Schatten seiner Kleidung gehüllt, trat es bewegungslos und ohne einen Laut in Erscheinung. Als er den Arm auf die Seitenlehne seines Stuhls legte und vor dem Kamin grübelte, stützte es sich auf die Stuhllehne dicht über ihm und schaute mit dem entsetzlichen Ebenbild seines Gesichtes dahin, wohin sein Gesicht sah, und trug genau denselben Gesichtsausdruck wie er.
Dies war das Etwas, das bereits vorübergegangen und verschwunden war. Dies war der furchtbare Begleiter des heimgesuchten Mannes!
Es achtete einen Augenblick lang nicht mehr auf ihn, als er es tat. Die Weihnachtssänger spielten irgendwo in der Ferne, und durch seine Nachdenklichkeit hindurch schien er der Musik zu lauschen. Es schien ebenfalls zu lauschen.
Schließlich sprach er, ohne sich zu regen oder das Gesicht zu heben.
„Wieder da!“ sagte er.
„Wieder da!“ antwortete das Gespenst.
„Ich sehe dich im Feuer“, sagte der heimgesuchte Mann, „ich höre dich in der Musik, im Wind, in der tiefen Stille der Nacht.“
Das Gespenst bewegte zustimmend den Kopf.
„Warum kommst du, um mich zu verfolgen?“
„Ich komme, da ich gerufen wurde“, antwortete der Geist.
„Nein. Ungebeten“, rief der Chemiker aus.
„Ungebeten mag sein“, sagte der Geist. „Es genügt. Ich bin hier.“
Bisher hatte der Schein des Feuers die beiden Gesichter beleuchtet – falls man die grauenerregenden Züge hinter dem Stuhl als Gesicht bezeichnen wollte –, beide wandten sich wie vorher dorthin, und keiner sah den anderen an. Doch jetzt drehte sich der heimgesuchte Mann um und starrte den Geist an. Der Geist kam, ebenso plötzlich in seiner Bewegung, hinter dem Stuhl vor und starrte ihn an.
Der lebende Mann und das belebte Ebenbild seines verstorbenen Selbst mögen so einander betrachtet haben. Ein schrecklicher Anblick in dem einsamen und verlassenen Teil eines leeren, alten, großen Gebäudes, an einem Winterabend, an dem der Wind laut auf seiner geheimnisvollen Reise vorbeizog – woher und wohin wußte niemand seit Anbeginn der Welt – und an dem die Sterne in unvorstellbarer Zahl aus dem unendlichen All funkelten, in dem die Welt nur so groß wie ein Körnchen ist und ihr ehrwürdiges Alter wie Kinderjahre zählt.
„Sieh mich an!“ sagte das Gespenst. „Ich bin der, der in der Jugend vernachlässigt wurde und schrecklich arm war, der sich mühte und litt und sich noch mühte und litt, bis ich das Wissen aus der Mine herausschlug, in der es vergraben lag, und daraus holprige Stufen machte, auf denen meine erschöpften Füße ausruhen und emporsteigen konnten.“
„Ich bin dieser Mann“, erwiderte der Chemiker.
„Weder die selbstlose Liebe einer Mutter noch der Rat eines Vaters halfen mir“, fuhr der Geist fort. „Ein Fremder nahm den Platz meines Vaters ein, als ich noch ein Kind war, und rasch wurde ich dem Herzen meiner Mutter entfremdet. Meine Eltern gehörten zu jenen, deren Sorge schnell zu Ende und deren Pflicht schnell getan ist und die ihre Nachkommen so zeitig entlassen wie die Vögel und die sich selbst das Verdienst anrechnen, wenn die Kinder vorwärtskommen, und bedauert werden wollen, wenn sie sich schlecht entwickeln.“
Er hielt inne und schien ihn mit seinem Blick und der Art zu reden und mit seinem Lächeln herauszufordern und aufzustacheln.
„Ich bin der“, fuhr der Geist fort, „der bei seinem Kampf nach oben einen Freund fand. Ich gewann ihn und band ihn an mich! Wir arbeiteten zusammen Seite an Seite. All die Liebe und das Vertrauen, die ich in meiner frühen Jugend niemandem schenken und nicht zum Ausdruck bringen konnte, gab ich ihm.“
„Nicht ganz“, sagte Redlaw heiser.
„Nein, nicht ganz“, erwiderte der Geist. „Ich hatte eine Schwester.“
Der heimgesuchte Mann entgegnete, den Kopf auf die Hände gestützt: „Ich hatte!“
Der Geist trat mit einem bösen Lächeln näher an den Stuhl
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