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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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aus Angst vor ihrer Rückkehr.
    „Werden Sie mich allein gehen lassen und mich weder festhalten noch anrühren?“ fragte der Junge, wobei er die Hand langsam zurückzog, mit der er drohte, und aufzustehen begann.
    „Ja!“
    „Und Sie lassen mich vor oder hinter Ihnen gehen oder wo ich will?“
    „Ja!“
    „Geben Sie mir zuerst Geld, und ich gehe.“
    Der Chemiker legte ein paar Schillinge, einen nach dem anderen, in seine ausgestreckte Hand. Zählen konnte sie der Junge nicht, aber er sagte jedesmal „eins“ und schaute gierig auf jede Münze und auf den Spender. Er hatte nichts, wo er sie unterbringen konnte, außer den Mund, und dahin steckte er sie.
    Redlaw schrieb dann auf eine Seite seines Notizbuches, daß er den Jungen bei sich hatte; und als er sie auf den Tisch legte, bedeutete er ihm zu folgen. Der Junge raffte wie gewöhnlich seine Lumpen zusammen und fügte sich, dann ging er mit unbedecktem Kopf und nackten Füßen in die Winternacht hinaus.
    Da er vorzog, nicht durch das Eisentor hinauszugehen, durch das er hereingekommen war, wo sie Gefahr liefen, ihr zu begegnen, die er so ängstlich mied, ging der Chemiker voran durch einige jener Flure, auf denen sich der Junge verlaufen hatte, und durch jenen Teil des Gebäudes, in dem er wohnte, zu einer kleinen Tür hin, zu der er den Schlüssel hatte. Als sie auf die Straße hinaustraten, blieb er stehen, um seinen Führer – der sofort vor ihm zurückwich – zu fragen, ob er wisse, wo sie seien.
    Das wilde Wesen schaute hierhin und dorthin; schließlich nickte es und wies in die Richtung, die es einschlagen wollte. Redlaw ging weiter, und der Junge folgte etwas weniger mißtrauisch. Er wechselte sein Geld vom Mund in die Hand und wieder zurück in den Mund und rieb es verstohlen an seinen Kleiderfetzen blank, während er weiterlief.
    Dreimal auf ihrem Weg befanden sie sich Seite an Seite. Dreimal blieben sie stehen, Seite an Seite. Dreimal blickte der Chemiker in sein Gesicht hinab und schauderte, als er den Blick erwiderte.
    Beim erstenmal überquerten sie einen alten Friedhof, und Redlaw hielt zwischen den Gräbern an, gänzlich unfähig, sie mit irgendwelchen zärtlichen, milde stimmenden und tröstenden Gedanken in Verbindung zu bringen.
    Beim zweitenmal veranlaßte ihn das Hervorbrechen des Mondes, zum Himmel aufzuschauen, als er ihn in seinem Glanz und von Unmengen Sternen umgeben sah, deren Namen und Geschichten, die ihnen die menschliche Wissenschaft beigefügt hatte, er noch kannte; wo er aber nichts weiter sah als das, was er gewohnt war, nichts weiter empfand als das, was er gewohnt war, wenn er in einer hellen Nacht hinaufschaute.
    Beim drittenmal lauschte er einer klagenden Weise, konnte aber nur eine Melodie hören, die ihm durch den nüchternen Mechanismus der Instrumente und seiner Ohren deutlich gemacht wurde, die nichts Geheimnisvolles in ihm ansprach, weder von Vergangenheit noch Zukunft flüsterte und ohne Wirkung auf ihn blieb wie das Geräusch des rauschenden Wassers oder des dahinfegenden Windes vom vergangenen Jahr.
    Bei jeder dieser drei Gelegenheiten sah er mit Schrecken, daß der Junge trotz ihres großen geistigen Abstandes und ihrer Unterschiede in der körperlichen Verfassung denselben Gesichtsausdruck hatte wie er.
    Sie wanderten geraume Zeit – manchmal durch so überfüllte Straßen, daß er glaubte, seinen Führer verloren zu haben, doch gewöhnlich fand er ihn in seinem eigenen Schatten auf der anderen Seite; dann wieder auf so ruhigen Wegen, daß er die kurzen, flinken, nackten Schritte, die hinter ihm herkamen, hätte zählen können –, bis sie an eine Reihe baufälliger Häuser gelangten, wo der Junge ihn berührte und sie stehenblieben.
    „Dahinein!“ sagte er und wies auf ein Haus, wo vereinzelt Licht in den Fenstern brannte und eine trübe Laterne im Torweg, über dem „Logis für Reisende“ geschrieben stand.
    Redlaw sah sich um: von den Häusern zu dem Stückchen Ödland, auf dem sie standen oder beinahe einfielen, nicht eingezäunt, ohne Kanalisation, unbeleuchtet und von einem träge fließenden Graben begrenzt. Von da aus zu der sich neigenden Reihe von Bögen, die zu einem benachbarten Viadukt oder einer Brücke gehörten, von der es umgeben war und die allmählich zu ihnen hin kleiner wurde, bis der vorletzte nur noch eine Hundehütte und der letzte ein kleiner Steinhaufen war. Von da aus zu dem Kind neben ihm, das sich vor Kälte zusammenkauerte und bibberte und das auf dem einen Füßchen

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