Alle Weihnachtserzählungen
Haustüren und Gitter hindurch an großartige Köche gereicht wurden. Gesichter tauchten an vielen Fenstern auf und verschwanden, manchmal hübsche Gesichter, manchmal auch das Gegenteil; aber Toby wußte nicht mehr über sie als die Glocken (obwohl er oft darüber nachgrübelte, wenn er müßig auf der Straße stand): woher sie kamen oder wohin sie gingen oder ob sie, wenn sich ihre Lippen bewegten, ein freundliches Wort über ihn sagten.
Toby war kein spitzfindiger Mensch – soviel wenigstens wußte er –, und ich möchte nicht behaupten, daß er, als er die Glocken liebzugewinnen begann und die Fäden der ersten flüchtigen Bekanntschaft enger und zarter knüpfte, nach und nach diese Überlegungen anstellte oder eine peinlich genaue Überprüfung seiner Gedanken vornahm. Ich möchte aber sagen, daß, ebenso wie Tobys Körperfunktionen, zum Beispiel seine Verdauungsorgane, ganz von selbst und durch sehr viele Vorgänge, von denen er nichts wußte und deren Kenntnis ihn in höchstes Erstaunen versetzt hätte, an ein bestimmtes Ziel gelangten, auch seine geistigen Kräfte ohne sein Zutun und Mitwissen diese Rädchen mit tausend anderen in Bewegung setzten, als sie seine Zuneigung für die Glocken hervorbrachten.
Wenn ich auch von Liebe gesprochen hatte, möchte ich dieses Wort nicht zurücknehmen, obgleich es kaum die Vielfalt seiner Gefühle zum Ausdruck bringen kann. Da er ein einfacher Mensch war, rechnete er ihnen einen fremdartigen und feierlichen Charakter zu. Sie waren so geheimnisvoll – er hatte sie oft gehört, doch nie gesehen; sie waren so hoch oben, so weit weg und hatten einen so tiefen, vollen Klang, daß er sie mit einer Art Ehrfurcht betrachtete; und manchmal, wenn er zu den dunklen Bogenfenstern emporblickte, erwartete er im stillen, von einem Etwas gerufen zu werden, das keine Glocke war, das er aber oft in den Glocken hatte mitklingen hören. Deswegen wies Toby verächtlich ein Gerücht zurück, dem zufolge es bei den Glocken spuke, was die Möglichkeit andeutete, daß sie mit einem bösen Geist verbunden waren. Kurzum, sie waren häufig in seinen Ohren und Gedanken, aber stets hoch in seiner Achtung. Sehr oft bekam er einen dermaßen steifen Hals, wenn er mit offenem Mund zum Turm, wo sie hingen, hinaufstarrte, daß er hinterher ein- oder zweimal mehr traben mußte, um den Krampf zu lösen.
Dieser Beschäftigung ging er an einem kalten Tag gerade nach, als der letzte müde Ton, der zwölf Uhr angezeigt hatte, wie eine riesige, aber durchaus keine emsige Biene, durch den ganzen Turm summte.
„Oh, Mittagszeit!“ sagte Toby und trabte vor der Kirchentür auf und ab. „Ah!“
Tobys Nase war sehr rot, seine Lider waren entzündet, und er blinzelte stark; die Schultern hatte er fast bis an die Ohren hochgezogen; die Beine waren steifgefroren, und überhaupt hatte ihn die Kälte tüchtig gepackt.
„Oh, Mittagszeit!“ wiederholte Toby und schlug mit seinem rechten Fäustling wie mit einem Boxhandschuh auf seine Brust ein, zur Strafe dafür, daß sie die Kälte spürte. „Ah-h-h!“
Dann setzte er sich für ein oder zwei Minuten schweigend in Trab.
„Es gibt nichts …“, sagte Toby und wollte erneut fortfahren, aber dann blieb er kurz stehen und tastete sorgfältig, wobei sich auf seinem Gesicht Neugier und Besorgnis zeigten, seine Nase der Länge nach ab. Es war aber nur ein kurzes Stück (wie das so bei einer Nase ist), und bald hatte er es geschafft.
„Ich dachte, sie wäre weg“, sagte Toby und trabte weiter. „Aber sie ist in Ordnung. Ich könnte es ihr nicht mal übelnehmen, wenn sie weg wollte. Sie hat einen ganz schön harten Dienst bei der Kälte und herzlich wenig Freude, denn ich nehme keinen Schnupftabak. Sie wird ja zu den besten Zeiten arg gequält, das arme Wesen, denn wenn sie mal einen guten Duft abbekommt (was nicht oft der Fall ist), stammt der meistens vom Essen andrer Leute, die vom Bäcker nach Hause gehen.“
Dieser Gedankengang erinnerte ihn an jenen anderen, den er noch nicht beendet hatte.
„Es gibt nichts Regelmäßigeres“, sagte Toby, „als die Mittagszeit und nichts weniger Regelmäßiges als die Mittagsmahlzeit. Darin besteht der große Unterschied. Ich hab lange gebraucht, bis ich das herausgefunden hab. Ich frage mich, ob es einem Herrn der Mühe wert wäre, diese Beobachtung für die Zeitung oder für das Parlament zu kaufen.“ Toby machte nur Spaß, denn er schüttelte voller Selbstverachtung den Kopf.
„Bei Gott!“ sagte Toby. „Die
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