Alle Weihnachtserzählungen
Toby, wies mit der Gabel auf den Turm und wurde durch das Essen immer munterer, „wie oft habe ich die Glocken sagen hören: ‚Toby Veck, Toby Veck, bewahre dir ein gutes Herz, Toby! Toby Veck, Toby Veck, bewahre dir ein gutes Herz, Toby!‘ Tausendmal? öfter!“
„Na, ich nie!“ rief Meg.
Obwohl sie es immer wieder gehört hatte, denn das war Tobys Lieblingsthema.
„Wenn die Dinge schlecht stehen“, sagte Trotty, „wirklich sehr schlecht, meine ich, daß sie kaum schlimmer sein könnten, dann sagen sie: ‚Toby Veck, Toby Veck, bald gibt’s was zu tun, Toby!‘ In der Weise.“
„Und schließlich gibt es etwas zu tun, Vater“, sagte Meg mit einem Anflug von Wehmut in der angenehmen Stimme. „Immer“, antwortete Toby unbewußt. „Sie irren sich nie.“
Während dieser Unterhaltung machte sich Trotty ohne Unterbrechung über das schmackhafte Fleisch her. Er schnitt davon ab und aß, schnitt und trank, schnitt und kaute und fuhr mit überschwenglichem und nicht zu stillendem Appetit hin und her von den Kutteln zu den heißen Kartoffeln und von den heißen Kartoffeln zurück zu den Kutteln. Aber als er jetzt die Straße entlangblickte – falls jemand von irgendeiner Tür oder einem Fenster aus einen Dienstmann verlangte –, stießen seine Blicke auf Meg, die ihm mit verschränkten Armen gegenübersaß und mit glücklichem Lächeln zusah, wie es ihm schmeckte.
„Ach, der Himmel verzeih mir’s“, sagte Trotty und legte Messer und Gabel hin. „Meg, mein Täubchen! Warum hast du mir nicht gesagt, was für ein Untier ich bin?“
„Wieso, Vater?“
„Ich sitze hier“, rief Trotty reumütig aus, „und schlemme und stopfe mich voll, während du vor mir sitzt und noch nicht mal gefrühstückt hast oder …“
„Aber ich habe gefrühstückt, Vater“, unterbrach ihn lachend seine Tochter, „alles häppchenweise, und ich habe Mittagbrot gegessen.“
„Unsinn“, entgegnete Trotty. „Zweimal Essen an einem Tag! Das ist unmöglich! Genausogut könntest du mir erzählen, daß zwei Neujahrstage auf einen Tag zusammenfallen oder daß ich mein Leben lang ein goldnes Haupt gehabt und es nie gewechselt hätte.“
„Wirklich, Vater, ich habe Mittag gegessen“, sagte Meg und trat näher an ihn heran. „Und wenn du weiterißt, werde ich dir erzählen, wie und wo ich dazu gekommen bin und wie und wieso ich dir eine Mahlzeit bringen konnte – und noch etwas anderes.“
Toby schien skeptisch zu sein, doch sie blickte ihm mit ihren klaren Augen ins Gesicht, legte ihm die Hand auf die Schulter und bedeutete ihm, weiterzuessen, solange das Fleisch noch heiß war. Trotty nahm also Messer und Gabel wieder zur Hand und machte sich daran, allerdings viel langsamer als zuvor, und er schüttelte den Kopf, als wäre er gar nicht mit sich zufrieden.
„Vater, ich habe Mittagbrot gegessen“, sagte Meg nach kurzem Zögern, „und zwar mit Richard. Er hat heute seine Pause früher eingelegt, und weil er seine Mahlzeit mitbrachte, als er zu mir kam, haben wir zusammen gegessen, Vater.“
Trotty nahm einen Schluck Bier und schmatzte mit den Lippen. Dann sagte er: „Oh!“, weil sie wartete.
„Und Richard sagt, Vater …“, fuhr Meg fort. Dann hielt sie inne.
„Was sagt Richard, Meg?“ fragte Toby.
„Richard sagt, Vater …“ Erneutes Stocken.
„Richard braucht lange, bis er was sagt“, bemerkte Toby.
„Also Richard sagt, Vater“, sprach Meg weiter, blickte endlich hoch und sagte mit zitternder, doch ganz klarer Stimme, „daß ein weiteres Jahr fast herum ist und was es für einen Sinn hat, von Jahr zu Jahr zu warten, wenn es doch unwahrscheinlich ist, daß es uns jemals besser gehen wird. Er sagt, wir sind jetzt arm, Vater, und wir werden arm bleiben, aber jetzt sind wir jung, und ehe wir’s uns versehen, sind wir alt. Er sagt, wenn Leute in unserer Lage warten wollen, bis sie einen Weg in die Zukunft sehen, dann wird es schließlich ein sehr schmaler Weg sein, der übliche Weg, nämlich der ins Grab, Vater.“
Es hätte unbedingt ein tapfererer Mann als Toby Veck Ansprüche an seine Kühnheit stellen müssen, um das zu leugnen. Trotty hielt den Mund.
„Und wie schwer ist es, Vater, alt zu werden und zu sterben und dabei zu denken, daß man sich hätte Mut machen und sich gegenseitig helfen können! Wie schwer ist es im Leben, sich zu lieben und zu grämen, wenn jeder für sich allein schuftet und sich verändert und alt und grau wird. Selbst wenn ich mich überwinden und ihn vergessen würde
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