Alle Weihnachtserzählungen
nachzudenken und seinen Geist zusammenzunehmen. Als er seine Stimme wiedergefunden hatte – wozu er lange brauchte, denn sie hatte einen weiten Weg zurückzulegen und war unter einer Portion Fleisch verborgen –, flüsterte er:
„Von wem ist der?“
Toby sagte es ihm.
„Du mußt ihn selber reinbringen“, sagte der Portier und wies auf ein Zimmer am Ende eines langen Ganges, der von der Diele ausging. „An diesem Tag des Jahres geht alles glatt. Du kommst gerade recht, denn die Kutsche hält jetzt vor der Tür, und sie sind nur für ein paar Stunden in die Stadt gekommen.“
Toby putzte sich die Schuhe (die schon fast trocken waren) sorgfältig ab und ging in die ihm gewiesene Richtung. Dabei bemerkte er, daß es sich um ein schrecklich großes Haus handelte, aber alles war so still und mit Überzügen versehen, als ob sich die Familie auf dem Land aufhielte. Er klopfte an die Zimmertür und wurde von drinnen aufgefordert einzutreten. Als er das tat, befand er sich in einer geräumigen Bibliothek, wo an einem Tisch, der mit Ordnern und Papieren übersät war, eine stattliche Dame mit einem Häubchen und ein nicht sehr stattlicher, in Schwarz gekleideter Herr standen, der nach ihrem Diktat schrieb. Ein anderer, älterer und wesentlich stattlicherer Herr, dessen Hut und Stock auf dem Tisch lagen, lief unterdessen auf und ab, die eine Hand in die Brust gesteckt, und betrachtete dann und wann selbstgefällig sein eignes Bild – in voller Größe –, das über dem Kamin hing.
„Was ist das?“ fragte der letztgenannte Herr. „Mr. Fish, hätten Sie die Güte, zur Verfügung zu stehen?“
Mr. Fish bat um Verzeihung, nahm Toby den Brief ab und überreichte ihn mit großem Respekt.
„Von Stadtrat Cute, Sir Joseph.“
„Ist das alles? Hast du sonst nichts, Dienstmann?“ fragte Sir Joseph.
Toby verneinte.
„Und du hast keinerlei Rechnung oder Forderung, die für mich bestimmt ist? Mein Name ist Bowley, Sir Joseph Bowley“, sagte Sir Joseph. „Wenn du eine hast, gib sie mir. Dort neben Mr. Fish liegt ein Scheckbuch. Ich gestatte nicht, daß irgend etwas mit ins neue Jahr hinübergenommen wird. Am Ende des alten Jahres wird in diesem Haus jede Rechnung bezahlt. So daß, falls der Tod …“
„Uns scheidet …“ schlug Mr. Fish vor.
„… das Band des Lebens durchtrennen sollte, Sir“, entgegnete Sir Joseph schroff, „meine Angelegenheiten hoffentlich in ordnungsgemäßem Zustand vorgefunden werden.“
„Mein lieber Sir Joseph!“ sagte die Dame, die bedeutend jünger als der Herr war. „Wie schrecklich!“
„Meine verehrte Lady Bowley“, erwiderte Sir Joseph und stockte hin und wieder, da er so tief in Gedanken versunken war, „zu dieser Zeit des Jahres sollten wir an – an uns denken. Wir sollten in unsere – unsere Rechnungen sehen. Wir sollten spüren, daß jede Wiederkehr einer so ereignisreichen Periode in den irdischen Geschäften eine Angelegenheit von großer Tragweite für einen Mann und seinen – und seinen Bankier ist.“
Sir Joseph äußerte diese Worte, als ob er die ganze Moral dessen, was er sagte, fühlte und wünschte, daß auch Trotty die Gelegenheit bekäme, sich bei solch einem Gespräch zu vervollkommnen. Wahrscheinlich hegte er diese Absicht, als er noch davon absah, den Brief zu öffnen, und Trotty bat, einen Augenblick zu warten.
„Sie wollten, daß Mr. Fish Ihnen noch etwas sagt, meine Gnädigste …“, bemerkte Sir Joseph.
„Ich glaube, Mr. Fish hat es schon gesagt“, entgegnete seine Frau und warf einen flüchtigen Blick auf den Brief. „Doch auf mein Wort, Sir Joseph, ich glaube nicht, daß ich sie nach allem ihren Lauf nehmen lassen kann. Sie ist so kostspielig.“
„Was ist kostspielig?“ fragte Sir Joseph.
„Diese Wohltätigkeitsfeier, mein Lieber. Man gestattet nur zwei Stimmen für den Beitrag von fünf Pfund. Wirklich ungeheuer!“
„Meine liebe Lady Bowley“, entgegnete Sir Joseph, „Sie überraschen mich. Steht das Mitgefühl in irgendeinem Verhältnis zur Anzahl der Stimmen, oder steht es bei einem rechtmäßig Beauftragten im Verhältnis zur Anzahl der Bittsteller und dem Geisteszustand, auf den sie die Propaganda herabzieht? Gibt es denn keinen echten Anreiz, unter fünfzig Personen über zwei Stimmen verfügen zu können?“
„Für mich nicht, muß ich gestehen“, antwortete die Lady. „Es ist einem lästig. Außerdem kann man seine Bekannten nicht zwingen. Aber Sie sind natürlich der Freund des armen Mannes, Sir Joseph. Sie
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