Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
Vom Netzwerk:
Klara hatte gedacht,
     die Glocken wären der Kriegsproduktion zum Opfer gefallen. Und dann stellte sich raus, dass der Pastor und noch ein paar Gläubige
     sie versteckt hatten. Klara hört ihren Klang zum ersten Mal. Sie ist ja noch nicht lange in der Stadt, erst spät im Krieg
     mit dem Treck gekommen, und da läuteten schon keine Glocken mehr.
    Die Frauen mögen sie. Einige jedenfalls. Sie finden, dass Klara sich einsetzt und dass die Kommunisten es vielleicht gar nicht
     so schlecht mit ihnen meinen. Immerhin sollen sie arbeiten und Verantwortung bekommen und Geld verdienen können. Und wenn
     sie Interessen haben, dann wird Klara die vertreten. So ist es ausgemacht mit dem Russen und mit den neuen Führern im Rathaus.
    Klara wird jetzt eine richtige Funktionärin beim Demokratischen Frauenbund. Kaum gegründet, ist sie schon eine Vorsitzende.
     Und fängt an, von Kindergärten zu reden und Schulspeisung und von Bildung für Frauen.
    Sie bekommt ein Büro. In dem stehen eine schöne schwarze Schreibmaschine und ein eichener Schreibtisch, auf dessen Rückwand
     noch ein fettes Hakenkreuz prangt. Das überpinselt Klara mit brauner Fußbodenfarbe.
    Und dann sitzt sie an einem richtig heißen Sommertag in ihrem Büro. Hat ihre Bluse einen Knopf mehr aufgemacht als sonst und
     die derben Schuhe von den Füßen gestreift. Hämmert mit vier Fingern einen Bericht in die Maschine und auf schlechtes Papier,
     da geht die Tür auf, und Franz steht dort wie ein Gespenst. Er ist so mager und klein geworden, dass Klara ihn nicht erkennt.
     IhrenJohannes Heesters, ihren Liebsten, ihren Mann, den Vater ihrer kaffeekannenverrückten Tochter.
    Klara sieht das Hämeken da im Türrahmen stehen und fragt freundlich, was es denn wünsche, und da flüstert das Hämeken: Klara,
     du lebst wirklich. Und fängt an zu weinen. Klara steht auf, geht hin zu der schmalen Gestalt und findet Franz vor, ihren Franz,
     und fällt ihm um den Hals und greift ihm gleich unter die Arme, als sie merkt, dass eine Frau am Hals diesen Mann zu Fall
     bringen wird. Sie setzt ihn auf ihren einzigen Gästestuhl und rennt los nach einem Schluck Muckefuck oder wenigstens Wasser.
     Und als sie zurückkommt, weint das Hämeken immer noch leise vor sich hin.
    Klara kniet sich vor den Gästestuhl, drückt Franz die Tasse in die Hand und fragt, wo er herkommt. Aus dem Bergwerk, sagt
     er. Die haben mich schnell entlassen, weil ich immer so ein fröhlicher Kerl war, und gut geführt habe ich mich auch.
    Klara nimmt sich frei für diesen Tag. Alle sagen, nimm dir gleich zwei oder drei Tage frei, schließlich hast du Glück, und
     da braucht man erst mal Zeit, um das zu verdauen.
    Das Kind zu Hause fängt vor Schreck an zu weinen, als der dünne fremde Mann seine Hand nach ihm ausstreckt. Es versteckt sich
     hinter der Kaffeekanne, und Klara erklärt, dass man ja nun nicht erwarten könne, dass einem das Mädchen gleich alle Liebe
     entgegenbringt. Schließlich habe es seinen Vater nur ein Mal gesehen, und da war es gerade mal ein halbes Jahr alt.
    Klara bringt das Mädchen zur Nachbarin, die hat Verständnis und verspricht, bis zum Abend aufzupassen.
    Dann geht Klara, um sich die Schäden anzugucken, die an Franz passiert sind. Sie zieht ihm die verschmutzten Sachen aus, und
     was zum Vorschein kommt, sind bloß nochblasse Haut und viele Knochen. Kein Fleisch auf den Rippen, Beine so dünn wie Stelzen aus Holz und ein Bauch, der die Bezeichnung
     nicht verdient. Klara wäscht den Mann, ihren Franz, der mal aussah wie Johannes Heesters und auch ein wenig so singen konnte.
     Zumindest das Lied vom Klavierspielen, das Glück bei den Frauen verspricht. Sie rasiert ihrem Mann die stoppeldunklen Wangen
     und schneidet sein Haar an den Seiten und im Nacken kürzer. Sie schaut sich seine Zähne an und staunt, dass alle da sind.
     Sie blickt ihm in die Augen und stellt fest, dass die noch immer so blau leuchten können wie die vom Hans Albers. Nur nicht
     fröhlich eben. Aber das könnte sich einrenken, wenn erst alles wieder in die Bahnen kommt. Sie holt das letzte Stück Brot
     aus dem Schrank und die Margarine und das Stück Wurst, das fürs Wochenende vorrätig bleiben sollte. Aber nun ist alles anders,
     und Franz muss wohl was essen.
    Nach vier Happen schiebt er das Brot zur Seite und sagt: Ich muss langsam machen, sonst geht das alles wieder von mir. Mein
     Magen ist klein geworden auf der Reise, Klara.
    Dann nimmt er sie an die Hand und geht mit ihr zum Bett, legt sie

Weitere Kostenlose Bücher