Allein auf Wolke Sieben
Zwar gibt es hier oben keine Getränke, denn ohne Körper kann man nun mal keine Nahrung zu sich nehmen. Aber riechen können wir, und deshalb gibt es in Flaschen abgefüllte Aromen, an denen man sich ergötzen, und, zumindest in meinem Fall, sogar berauschen kann.
»Hier hat sich ja einiges verändert«, verkündet Oma Liesel und sieht sich neugierig um. »Aber ich bin ja nun auch schon bestimmt sieben Jahre nicht mehr hier gewesen.
Und wer ist das?« Interessiert mustert sie Samuel, den Besitzer des »Sternenfängers«, der jetzt verschlafen hinter dem Tresen erscheint. Verwirrt fährt er sich durch die wuscheligen, schwarzen Haare, seine dunklen Augen schauen verwundert zwischen uns und der großen, antiken Standuhr hin und her.
»Nanu, Lena, was macht ihr denn schon hier, ich meine, warum …? Hä?« Anscheinend haben wir ihn aus dem Tiefschlaf gerissen. Entschuldigend lächele ich ihn an.
»Ich bummele ein bisschen Gleitzeit ab«, erkläre ich ihm der Einfachheit halber, während ich meiner Oma zuzischele: »Das ist Samuel.«
»Aha«, sagt sie laut und lächelt ihm entgegen. »Du warst vor sieben Jahren auch noch nicht hier.«
»Das ist meine Oma Liesel, Omi, das ist Samuel«, stelle ich die beiden einander vor.
»Angenehm. Wisst ihr schon, was ihr wollt?«
»Vanille-Kokos«, sage ich prompt.
»Alles andere hätte mich überrascht«, gibt Samuel trocken zurück, während Omi sich in die Karte vertieft.
»Ich überlege noch.«
»Kein Problem, ich komme gleich noch mal wieder.« Damit zieht Samuel sich hinter den Tresen zurück. Seite um Seite studiert Omi den dicken Aromakatalog, fährt mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang und murmelt halblaut vor sich hin.
»Lavendel, Latschenkiefer, Limette …«
»Das ist doch langweilig«, unterbreche ich sie, nehme ihr kurzerhand das Buch weg und schlage die hinteren Seiten auf. »Hier«, sage ich triumphierend, »davon möchtest du etwas.«
»So? Möchte ich das?« Sie hebt ihre linke Augenbraue um einen Millimeter und plötzlich frage ich mich, wie ich sie nicht auf Anhieb erkennen konnte. Auch wenn sie hier oben zugegebenermaßen völlig anders aussieht. Aber ihre Mimik ist dieselbe. Plötzlich durchströmt mich ein warmes Gefühl. Ich bin so froh, dass sie hier ist, endlich jemand, den ich kenne und den ich liebe. Wie gerne würde ich meine Arme um sie schlingen, mich auf ihren Schoß setzen und den Kopf an ihrem Hals vergraben wie früher, als ich noch ein ganz kleines Mädchen war. Aber das geht ja leider nicht. So bleibt mir nur, sie zu betrachten, ihre aufrechte Haltung zu bewundern, ihr glattes, vollkommen faltenfreies Gesicht mit den funkelnden blauen Augen, die glänzenden braunen Locken, die ihr bis auf den Rücken fallen. Sie bemerkt meinen Blick und lächelt mich an.
»Na, versuchst du, mich mit der alten, verschrumpelten Frau von unten zusammenzubringen?« Verlegen zucke ich mit den Schultern und sie lacht vergnügt: »Ja ja, der Körper wird alt, die Seele wird klug.« Ich sehe in ihre funkelnden Augen und muss ihr Recht geben. Auch wenn ihre Erscheinung die einer ganz jungen Frau ist, so sieht man doch in ihrem Blick die Weisheit vieler Leben.
»Hast du gewählt?«, werden wir in diesem Moment von Samuel unterbrochen, der nun einen verschnörkelten Flakon vor mir abstellt, in dem sich eine hell schimmernde Substanz befindet.
»Oh, noch nicht«, entschuldigt sich Oma Liesel und blättert unschlüssig im Katalog. »Das klingt alles köstlich. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das auch hier oben einmal sagen würde, aber: Das gab es zu meiner Zeit noch nicht.« Spitzbübisch lächelt sie mir zu.
»Samuel hat den ›Sternenfänger‹ vor vier Jahren übernommen und seitdem über hundert neue Kreationen erfunden«, erkläre ich und Samuels Aura nimmt eine leichte Rosafärbung an.
»Nun ja«, meint er bescheiden, »es macht mir einfach Spaß, die Aromen zu kombinieren.«
»Er stellt sein Licht gerne unter den Scheffel«, sage ich zu Oma Liesel, »aber seit er den Laden führt, ist es hier jeden Abend brechend voll.«
»Was nehme ich denn nur? Was hast du denn da bekommen?«
»Oh, das ist eher eine einfache Kombination«, winke ich ab, »du solltest wirklich lieber etwas …«
»Sie nimmt jeden Abend Vanille-Kokos«, unterbricht mich Samuel und klingt dabei einen Hauch frustriert, »aber dir würde ich ›Schneegestöber‹ empfehlen. Oder, wenn du es etwas ausgefallener magst: ›Kirmesköstlichkeit‹. Spritzig, variationsreich und der
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