Allein auf Wolke Sieben
absolute Renner in diesem Monat.«
»Einverstanden«, strahlt Omi Liesel, »das nehme ich.«
»Eine ausgezeichnete Wahl.«
»Der ist aber wirklich schnuckelig«, meint sie, während ich vorsichtig den Korken von meinem Flakon löse und ihn mir unter die Nase halte. Der Inhalt, irgendwo zwischen Gas und Flüssigkeit, windet sich spiralförmig die gläserne Wand entlang nach oben. Der Duft von Kokos und Vanille steigt auf. Ich lehne mich in das flauschige Sofa zurück und schließe genießerisch die Augen. Während der samtige Geruch intensiver wird, höre ich das Rauschen heranrollender Wellen, spüre die Wärme der Sonne und kraftvolle, sanfte Hände, die über meinen gesamten Körper gleiten und Sonnenöl auf meiner Haut
verteilen. Ich sehe Michaels Gesicht vor mir, ganz nah. Sein Arm liegt nun leicht auf meiner Brust, gemeinsam atmen wir in einem Rhythmus, über uns …
»Schätzchen?« Ein wenig unwillig öffne ich die Augen und sehe Oma Liesel an, die jetzt ebenfalls einen Flakon in der Hand hält. Darin wirbeln die Aromen lustig durcheinander, wechseln laufend die Farben, zerbersten in feuerwerksähnlichen Explosionen, um sich dann neu zu formatieren. »Sieh mal, ist das nicht toll?«, fragt Liesel begeistert und nickt Samuel zu, der geschmeichelt von einem Fuß auf den anderen tritt.
»Nun koste doch endlich«, nötigt er meine Großmutter und sie öffnet den Flakon, dessen Aromen ihr sofort in die Nase fliegen. Sie atmet tief ein und ruft verzückt: »Wie wundervoll! Schätzchen, das musst du probieren!« Damit hält sie mir auffordernd die Kirmesköstlichkeit hin, aber ich schüttele den Kopf und sehe besorgt auf den Flakon in meiner Hand. Nur noch ein winziger Rest befindet sich darin, und ich verschließe ihn hastig mit dem Korken. »Nun komm schon«, drängelt Liesel.
»Nein danke, ich will nicht«, sage ich und sie sieht mich verwundert an.
»Aber warum denn nicht?«
»Weil ich eben nicht will«, antworte ich heftig. »Darf ich vielleicht meins zu Ende nehmen?« Damit schließe ich die Augen und gebe mich wieder dem Duft und meiner Erinnerung hin.
»Sie nimmt nie etwas anderes«, höre ich Samuel leise zu meiner Großmutter sagen, »seit ich sie kenne.«
»Wirklich? Aber warum denn nur?« Ich versuche, Michaels Gesicht vor mir zu sehen, das Gewicht seines Armes zu spüren, aber es will mir nicht so recht gelingen.
»Sie wirkt ja vollkommen weggetreten. Schätzchen?« Nein, ich lasse mir diesen Moment nicht nehmen. Mit fest zusammengepressten Augen sitze ich da, atme tief ein, um auch noch das letzte Duftpartikelchen in mich aufzunehmen, aber der Geruch nach Vanille und Kokos verblasst. »Schätzchen, geht es dir gut?« Unter mir spüre ich das weiche Sofapolster statt des warmen Sandstrandes. Entnervt öffne ich die Augen und sehe meine Oma vorwurfsvoll an.
»Ja, es geht mir gut. Was ist denn?«
»Ein bisschen Kirmesfeeling?« Ehe ich es verhindern kann, krabbelt mir der Geruch von Zuckerwatte, Paradiesäpfeln, Schmandgebäck und in Knoblauch gebratenen Pilzen in die Nase. Ich rieche eingelegte Gurken und karamellisiertes Popcorn. Fast ist mir, als würde ich Kinder auf dem Kettenkarussell jauchzen hören.
»Ganz nett«, gebe ich widerwillig zu, was mir einen entrüsteten Blick einbringt. »Nichts gegen deine Kreation, wirklich nicht«, entschuldige ich mich bei Samuel, der beleidigt die Mundwinkel nach unten zieht, »aber ich habe nun mal meinen Favoriten gefunden.« Versöhnlich lächelnd reiche ich ihm den geleerten Flakon.
»Noch einen?«
»Worauf du wetten kannst!« Mit einem vielsagenden Blick in Richtung meiner Oma macht Samuel sich in Richtung Tresen davon. Liesel schnuppert genussvoll die letzten Partikel Kirmesduft, dann stellt sie den Flakon mit Schwung auf den vor uns stehenden Holztisch und sieht mich mit ihren blauen Augen durchdringend an.
»Mein Fräulein, es scheint mir an der Zeit, dass wir ein ernstes Wort miteinander reden!«
»Ich – ein Junkie?«, frage ich ungläubig und Omi Liesel nickt so heftig mit dem Kopf, dass ihre braunen Locken nur so um den Kopf fliegen.
»Und was für einer«, sagt sie nachdrücklich und hält Samuel, der gerade meinen zweiten Smell bringt, gebieterisch die Handfläche entgegen. »Nein danke«, befiehlt sie streng, »sie hat genug für heute.«
»Na gut!« Widerspruchslos macht er auf dem Absatz kehrt.
»He«, rufe ich ihm empört hinterher, »das ist ja wohl ganz alleine meine Entscheidung!«
»Jetzt nicht mehr, junges Fräulein!«
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