Allein auf Wolke Sieben
wirklich gut jetzt.«
»Aber wieso denn bloß?«
»Weil übermorgen Michael kommt«, sage ich freudestrahlend. »Also dann, einen schönen Tag dir.«
Gemächlich schlendere ich zur Abflugstation, an der reger Betrieb herrscht. Während ich in der Schlange warte, träume ich vor mich hin und male mir aus, wie schön es zusammen mit Michael sein wird. Vielleicht können wir sogar einmal gemeinsam eine Wanderung zu Gott unternehmen. Nicht dass ich es noch mal wagen würde, sie zu stören, aber der imposante Glasturm ist ja auch von außen sehenswert. Und was er wohl dazu sagen wird, dass ich dort war, sie gesehen und gesprochen habe?
»Der Nächste bitte«, ertönt Pauls Stimme und er hält mir galant die Tür zu dem runden Holzzylinder auf.
»Danke«, sage ich und schließe, kaum, dass ich alleine bin, die Augen. Ich muss in die Universitätsklinik Eppendorf und es fällt mir nicht schwer, sie vor meinem inneren Auge erscheinen zu lassen. Schließlich habe ich jahrelang in unmittelbarer Nachbarschaft des Krankenhauses gewohnt. Zehn, neun, acht, ich denke an den von Säulen umgebenden Haupteingang des Gebäudes, sechs, fünf, vier, sattgrüne Bäume und blühende Rhododendren im Krankenhauspark, zwei, eins.
Ich öffne die Augen und stehe vor dem Portiershäuschen. Ein grauhaariger Mann sitzt darin und blättert in einer Zeitschrift. Begehrlich schaue ich auf den Riegel Schokolade, an dem er dabei herumknabbert. Weiße Crisp. Meine Lieblingssorte. Was gäbe ich für das Gefühl, ein Stück davon auf meiner Zunge schmelzen, die Süße sich ausbreiten, den Puffreis knistern zu spüren. Das wäre himmlisch! Da ich mein Gegenüber nicht nach dem Weg zur gynäkologischen Abteilung fragen
kann, mache ich mich auf eigene Faust auf die Suche und bin nur wenige Minuten später, dank zahlreicher Hinweisschilder, am Ziel. Weil ich noch ein wenig Zeit habe, erlaube ich mir einen Abstecher in die Säuglingsstation, wo ich mich unauffällig unter mehrere stolze Elternpaare mische, die ihre Sprösslinge durch die Glasscheibe in ihren Bettchen betrachten. Ist das niedlich. Ein Baby mit dunklem Haarschopf hat es mir besonders angetan. Der Kleine räkelt und streckt sich in seinem hellblauen Strampelanzug und schaut interessiert aus hellen blauen Augen umher. Da, er hat mich angesehen. Verblüfft trete ich einen Schritt näher. Kein Zweifel, er schaut mir gerade in die Augen und lächelt ein zahnloses Lächeln. Ich lächele zurück und winke ihm zu. Wahrscheinlich kennen wir uns. Auch wenn sich meine sozialen Kontakte oben in Grenzen gehalten haben, könnte es doch sein, dass wir uns im »Sternenfänger« mal begegnet sind.
»Ich wünsche dir ein tolles Leben«, sage ich und er lacht glucksend auf.
»Sieh mal, er lacht uns an«, sagt der mir am nächsten stehende Mann begeistert und legt seinen Arm um die dunkelhaarige, zarte Frau, die von der Geburt erschöpft, aber glücklich aussieht.
»Er erkennt uns«, sagt sie voller Überzeugung und stolz sehen die beiden auf ihren Sprössling herab, während er und ich uns noch mal verschwörerisch zuzwinkern.
Nun zu weniger erfreulichen Dingen. Ich nehme das Treppenhaus in den dritten Stock und laufe durch die langen Krankenhausflure, bis ich vor dem auf dem Auftrag
genannten OP ankomme. Vorsichtig trete ich ein und sehe eine junge Frau im weißen Hemd auf dem Operationstisch liegen. Ihre langen, blonden Haare verschwinden unter einer türkisfarbigen Haube, mit ihren großen blauen Augen sieht sie angstvoll zu dem Anästhesisten hoch, der sich über sie beugt und beruhigend auf sie einredet: »Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich leite jetzt die Narkose ein. Können Sie für mich von zehn an rückwärts zählen?«
»Zehn«, sagt die Frau mit leiser, zitternder Stimme, »neun.« Ihr fallen die Augen zu.
»Wir können anfangen«, sagt der Anästhesist nach einem kontrollierenden Blick auf seinen Monitor und sogleich treten mehrere Ärzte und Schwestern, in dunkelblauen Kitteln, mit Mundschutz und Haube, an den Tisch heran. Ich verziehe mich in die entlegenste Ecke des Raumes und wende den Blick ab, während sie mit dem Eingriff beginnen. Ich hasse Krankenhäuser. Spätestens seit meinem Tod, aber auch vorher schon. Ich versuche, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, aber das Piepsen der Maschine, die den Herzschlag der narkotisierten Frau anzeigt, dringt überlaut an mein Ohr und erinnert mich an die letzten Monate meines Lebens, in denen mich dieses Geräusch Tag und
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