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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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viel am Hals. Außerdem hat sie gesagt, sie wäre echt angefressen, wenn sie ihre Arbeit aufgeben müsste.«
    Oh.
    »Eigentlich erinnert sie mich manchmal an dich«, fährt er fort. »Sie ist gut im Beruf. Und wahnsinnig ehrgeizig. Ich sag das, obwohl sie meine Freundin ist: Du hättest mal ihr Gesicht sehen sollen, als wir zu dem Schluss kamen, dass sie auf Sri Lanka ein paar von meinen Shootings übernehmen muss.«
    Das war nett. Von Kate.
    »Deshalb habe ich einen Entschluss gefasst …«, fährt er fort.
    »Welchen denn?«
    »… Wenn der Sri-Lanka-Auftrag beendet ist, werde ich mich nach einem Studio umsehen. Hier.«
    Ich starre ihn an.
    »In London?«
    Er nickt.
    »Aber du bist doch Naturfotograf. Darauf bist du doch spezialisiert.«
    »Na ja, wie gesagt, mein Entschluss steht fest. Und wenn ich mehr da bin, dann kannst du vielleicht wieder arbeiten, dachte ich mir. Ich werde nicht mehr so viel verdienen, deshalb musst du wahrscheinlich sogar arbeiten.«
    Ich kann’s nicht glauben, was er mir da anbietet. Tausend Möglichkeiten tun sich auf. Wir könnten wieder eine Familie sein. Natürlich würden wir nicht mehr zusammenwohnen. Aber wir wären eine Familie, die sich sonntags zum Spazierengehen trifft und Weihnachten und Raes Geburtstag zusammen feiert. Und wenn mir Tom bei Raes Betreuung hilft, könnte ich wieder einen Vertrag mit Guy machen. Ich könnte mich aus diesem Sumpf befreien. Langsam mein Leben in Ordnung bringen.
    Wieder muss ich Tränen wegblinzeln.
    »Weißt du, was? Ständig fragen mich die Leute, ob du wieder arbeitest«, fährt Tom fort. »Du stehst immer noch hoch im Kurs. Ruf Guy an, was er dazu sagt. Wenn du willst, nehme ich mir ein paar Wochen frei; dann kann Rae den Sommer über bei mir bleiben, bis du alles angeleiert hast – und im September organisieren wir was.«
    Jetzt sind die Tränen nicht mehr aufzuhalten. Ich lege beide Hände über die Augen.
    »Du brauchst doch nicht …«
    »Na, sie ist immer noch mein kleiner Goldschatz.«
    Ich lasse die Hände auf dem Gesicht liegen. Denn ich weiß, wenn ich ihn jetzt anschaue, dann sehe ich den Schmerz in seinen Augen, der mich daran erinnert, was ich ihm angetan habe.
     
    Es ist ein kalter Winterabend. Rae ist drei Jahre alt. Ich putze mir vor dem Badspiegel die Zähne. Da geht die Tür auf, Tom kommt herein und zieht den Mantel aus; sein Gesicht ist nach dem eisigen Heimweg von der U-Bahn gerötet.
    »Schönen Abend gehabt?«, frage ich und warte auf das Übliche: dass er mir seine kalten Hände unters T-Shirt schiebt und mich zum Lachen bringt, oder dass er mich küsst und sich bedankt, weil ich nichts dagegen habe, wenn er am Samstagabend mit seinen alten Naturfilmer-Kumpeln in die Kneipe geht. »Wie geht es den anderen?«
    »Gut«, murmelt er.
    Aber er meidet meine Nähe. Läuft im Bad herum, als würde er etwas suchen.
    Ich beobachte ihn im Spiegel, während ich in meinem Mund herumschrubbe. Er lächelt nicht, seine Schultern sind steif, als schleppe er eine schwere Last mit sich herum.
    »Alles in Ordnung?«, nuschle ich durch den Schaum. »Was gibt’s?«
    Tom weicht meinem Blick aus. Er dreht sich immer wieder unruhig im Kreis, wie ein Hund, der nach einem Platz sucht; schließlich lässt er sich schwer auf den Badewannenrand sinken. Er beugt sich vor und legt das Gesicht in die Hände.
    »Tom!«, rufe ich und drehe mich zu ihm. »Was ist denn los?«
    Er schüttelt den Kopf, starrt zum Boden.
    »Tom! Was ist?«
    Er richtet sich auf, ohne den Blick zu heben.
    »Graham hat was Komisches gesagt.«
    »Welcher Graham?«, frage ich verwirrt. »Der Tierarzt aus der Sendung?«
    Er nickt.
    »Worum ging es denn?«
    Tom atmet lange aus und wird sehr schweigsam. So habe ich ihn noch nie erlebt.
    Dann fängt er an zu reden.
    Und mein Leben bricht zusammen.
    »Graham ist zur Bar gegangen, Drinks holen …«, murmelt er.
    »Ja?«
    »Und während er wartete, hat uns Jamie ein Foto von seinem Sohn gezeigt, und wir verarschen ihn alle, weil der Kleine blaue Augen hat und Jamie und seine Freundin braune …«
    Mir erstarrt das Blut in den Adern.
    Bitte nicht.
    Ich drehe mich rasch wieder zum Spiegel und bürste weiter. Solange ich bürste, bleibt alles normal, denke ich.
    »Und wir haben Witze darüber gerissen, dass offensichtlich der Milchmann die Runde gemacht hat, während Jamie unterwegs beim Dreh war …«
    Tom hält inne. Sein Gesicht wird starr, so schwer fallen ihm die nächsten Worte.
    »… und da wendet sich Jamie an mich und

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