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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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gepeitscht hat. Ich schaue mich um. Überall sitzen Frauen wie ich, manche wie ich auf der Sitzkante, manche im Sitz zusammengesackt. Bei manchen ist die Wimperntusche verschmiert, andere haben Knitterfalten in den Röcken und Hosenanzügen.
    Ich begebe mich unter ein ganz bestimmtes Völkchen, denke ich. Frauen, die den ganzen Tag in der Stadt arbeiten und sich dann zu Hause um ein Kind kümmern. Frauen, die sich dafür eine Großstadt ausgesucht haben, weit entfernt von ihren Familien, die in Gegenden wie Lincolnshire leben. Frauen, die vielleicht in Straßen wie meiner wohnen, wo sie ihre Nachbarn nicht kennen.
    Bei ihnen funktioniert es. Auch bei mir könnte es funktionieren. Wenn ich noch das eine oder andere geregelt kriege, könnte ich es wirklich schaffen.
    Dann fällt mir Suzys Anruf wieder ein. Was ist, wenn Rae sich weigert, weiter in den Hort zu gehen? Wen könnte ich bitten, sich um sie zu kümmern?
    Als ich in Highbury & Islington aus der U-Bahn springe und zu dem Bahnsteig hinüberrase, wo der Regionalzug nach Alexandra Park abfährt, erinnere ich mich an den Tag, als es an meine Tür hämmerte. Ich öffnete, und vor mir stand eine keuchende Frau, das Gesicht schweißüberströmt. Sie hatte ein unglaublich weites schwarzes Kleid an und einen Buggy bei sich, in dem ein nur mit einer Windel bekleidetes Baby schlief.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Können Sie mir helfen – ich glaube, die Wehen haben eingesetzt – viel zu früh. Ich habe draußen in Ihrem Auto einen Kindersitz gesehen.« An der schleimigen Flüssigkeit, die ihr die Beine herunterlief, sah ich, dass sie recht hatte. Ihre Fruchtblase war geplatzt.
    »Ach du liebe Güte, natürlich«, sagte ich und führte sie sofort herein. »Wie weit sind Sie?«
    »Dreiunddreißigste Woche«, keuchte sie.
    »Keine Sorge!« Ich lief schon zum Telefon. »Ich rufe einen Rettungswagen.«
    Die nächste Minute verging mit hektischem Wählen der Notrufnummer; gleichzeitig zerrte ich einen Stuhl aus dem Wohnzimmer.
    Die Frau bedankte sich mit einem Nicken, ließ sich vorsichtig auf die Knie nieder, legte Kopf und Hände auf den Stuhlsitz und stöhnte sich durch die nächste Wehe.
    »Mist, ich glaube, sie kommen.«
    Sie?
    »Zwillinge.«
    Du lieber Himmel. »Bitte schnell!«, rief ich ins Telefon. »Es sind Zwillinge.«
    Ich renne in die Küche, schnappe mir einen feuchten Lappen und wische der Frau über die Stirn. Sie strömt einen öligen, leicht kränklichen Geruch aus. Ich reibe ihr auch über den Rücken, erinnere mich, wie gut mir das getan hat, als Tom es bei mir machte.
    »Danke«, sagt sie, nach Luft ringend. »Tut mir furchtbar leid – mein Mann ist verreist, und wir sind gerade erst eingezogen.«
    »Machen Sie sich keine Gedanken«, wiederhole ich zum dritten Mal und zerbreche mir den Kopf, was ich noch sagen könnte, um sie zu beruhigen. »Ich habe meinem Dad früher oft beim Lammen geholfen.«
    Die Worte hängen in der Luft, und wir werden uns beide bewusst, dass sie auf allen vieren vor mir kauert und mir ihren Hintern entgegenstreckt. Und brechen beide in wieherndes Gelächter aus.
    »Suzy«, sagt sie, bevor sie scharf nach Luft schnappt.
    »Callie«, erwidere ich.
     
    Zum hundertsten Mal schaue ich auf die Uhr. An mir beginnt eine Angst zu nagen. Wenn ich als berufstätige Mutter mit einem Arbeitsplatz in der Stadt womöglich noch stärker von ihr abhinge statt weniger?
    Das Schlimme ist: Nach diesem Tag bei Rocket kann ich mir nicht mehr vorstellen, meine Arbeit jemals wieder aufzugeben.
     
    Kurz vor fünf kam Guy herein, um sich meinen fertigen Soundtrack für den Werbespot anzuhören. Als hätte das nicht schon gereicht, um mich nervös zu machen, rief er auch noch Megan und drei Sound-Designer dazu, darunter Jerome, einen stylishen Mittzwanziger mit schwarzrandiger Retrobrille und Nudie-Jeans, von dem Guy mir schon vorgeschwärmt hatte, eine aufregende Entdeckung, »die neue Callie«, hatte er ganz ironiefrei gesagt.
    »Okay, Ton ab«, fordert er mich auf und sieht zum Plasmabildschirm hoch.
    Mir wird flau im Magen. Ich drücke auf »Play«, sitze stocksteif da und prüfe Guys Reaktion aus den Augenwinkeln. Die Messer sausen mit einem scharfen, metallischen Schwirren durch die Luft und landen in jedem Lebensmittel mit einem etwas anderen Sound. Nur Designer wissen, wie viel Arbeit man hineinstecken muss, um jedes Geräusch so unaufdringlich zu machen, dass es der Werbebotschaft nicht in die Quere kommt.
    Dann herrscht

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