Allein die Angst
Eisentor und gehen am Rand des Parks entlang.
»Hannah war nicht da«, sagt sie leise. »Sie war zum Spielen bei Grace.«
Das versetzt mir einen Stich.
»Nun ja, so etwas wird schon ab und zu vorkommen.« Ich versuche, mir meine Traurigkeit nicht anmerken zu lassen – Rae tut mir leid. »Dann spielst du eben einfach mit jemand anderem. Das ist ja das Schöne am Hort, dass du viele andere Kinder kennenlernst, die nicht in deiner Klasse sind.«
Als ich selber fünf gewesen bin, hätte mich das nicht überzeugt, aber mir fällt nichts Besseres ein.
»Wann kann ich denn mal zu jemand zum Spielen gehen?«, fragt Rae leise.
»Bald, mein Schatz, das wird sich sicher bald ergeben.« Ich lege ihr einen Arm um die Schulter und hasse mich fürs Lügen. »Hör mal, wie hieß denn die Frau, mit der du dich unterhalten hast – ich war so überrascht, sie dort zu sehen, dass mir ihr Name nicht mehr eingefallen ist.«
»Mrs. Ribell«, sagt Rae. »Aber sie meint, wenn sonst niemand da ist, kann ich Debs zu ihr sagen.«
Ich nehme Rae bei der Hand; wir verlassen den Schulbereich und biegen in die Hauptstraße ein, die abwärts zur Churchill Road führt.
Autos rauschen vorbei. Es herrscht ziemlich dichter Verkehr. Natürlich ist um sechs Uhr abends Stoßzeit. Wenn Rae und ich um diese Zeit aus dem Park kamen, mussten wir manchmal drei, vier Minuten warten, bis wir diese Straße überqueren konnten.
Es fängt jetzt richtig an zu schütten, die Straße wird nass und rutschig. Der Verkehr dröhnt mir in den Ohren, Motoren stottern, Bremsen quietschen.
Und dann lässt Rae ohne Vorwarnung meine Hand los.
»He, was soll das?«, rufe ich.
Sie fängt an zu laufen. Ich sehe wieder die Rennpferde vor mir, die auf einer von Dads Wiesen untergestellt waren. Am Abend beobachtete ich von meinem Zimmerfenster aus, wie ihnen die Halfter abgenommen wurden und sie frei herumlaufen durften. Da machten sie wilde Sprünge und schlugen aus, warfen die Hufe hoch, als wollten sie zu verstehen geben, dass sie sich auf keinen Fall vor dem nächsten Morgen wieder einfangen lassen würden.
»Rae?«, rufe ich und eile ihr nach. »Was machst du da?«
Sie läuft nicht in ihrem gebremsten Dauerlauf, sondern versucht tatsächlich zu rennen, ihre kleinen Sandalen fliegen hoch in die Luft.
»Rae!« Ich rufe lauter, strecke den Arm aus und packe sie hinten am Kleid. »Ich will eine Antwort!«
Die Autos flitzen vorbei, niemand kümmert sich um das Tempolimit, alle wollen nur nach Hause.
Rae gerät ein bisschen ins Taumeln, als sie sich umdreht.
»Was fällt dir ein!«, schimpfe ich. »Das ist gefährlich! Du weißt, dass du stürzen könntest. Und was wäre dann?«
»Das ist nicht fair!«, schreit sie und reißt sich wieder los. » NIE darf ich was!«
Sie sieht zugleich zornig und verlegen aus; ihre großen, dunklen Augen funkeln vor Wut. Ich lege ihr wieder die Hand auf die Schulter und knie mich vor sie hin.
»Du hast ganz recht, mein Schatz, es ist nicht fair. Aber ich will nicht, dass du wieder ins Krankenhaus musst, und du willst das doch sicher auch nicht, oder? Deshalb gibst du mir auf der Straße in Zukunft immer die Hand. Immer, hörst du?«
Sie zuckt mit den Achseln. Ich öffne die Handtasche und hole das Muffin heraus, das ich von Rocket mitgenommen habe.
»Das habe ich dir aus der Arbeit mitgebracht.«
Rae macht große Augen, schnappt sich das Muffin und beißt hinein.
»Tut mir leid, Mummy«, sagt sie und gibt mir wieder die Hand.
»Und mir tut es leid, dass ich zu spät gekommen bin«, sage ich. Wir warten am Straßenrand auf eine Lücke im Verkehr.
Vor Suzys Haus bleiben wir stehen. Ich höre drinnen ein Kind schreien.
»Ach, du bist’s«, sagt Suzy, als sie uns öffnet. Sie umarmt uns beide und schiebt uns in die Diele. Rae läuft gleich in die Küche zu den Jungs.
»Wie geht es ihr?«, flüstert Suzy.
»Bisschen müde. Sie wird ein paar Tage brauchen, bis sie sich daran gewöhnt. Ach übrigens, stell dir vor – die Frau nebenan, Debs, arbeitet im Hort!«
Suzy dreht sich überrascht um. »Echt? Ich wusste gar nicht, dass sie Lehrerin ist.«
»Ich auch nicht. Super, was? Das heißt, dass Rae im Hort jemand hat, der ihr von zu Hause vertraut ist. Und ich hoffe, dass Debs besonders auf sie aufpasst, weil sie sie kennt.«
Suzy sieht mich nachdenklich an und nickt. »Na ja, von kennen kann eigentlich nicht die Rede sein.«
»Nein – aber du weißt schon, was ich meine. Wie man sich unter Nachbarn eben so
Weitere Kostenlose Bücher