Allein in der Wildnis
hatte es geregnet, der Wald war völlig durchweicht. Holzkohlegrau glänzten meine riesigen Fichtenstämme, und ihre Äste waren graugrün; tintenschwarz schimmerten die Balsamtannen, die Erde teerig braun und die Kiefern zinngrau. Wie Thomas Hardy schrieb: »Braundüster tropfte die ganze Welt.« Gegen elf Uhr vormittags herrschte ein so intensiv wäßriges Licht um die Hütte und zwischen den Bäumen, daß man meinen konnte, irgendwo im Nordatlantik versunken zu sein. Jede Regenbö fühlte sich wie eine Woge an, und der durchnäßte Wald sah wie Seegras aus.
Je baumbewußter ich wurde, desto mehr bewunderte ich die riesige Weymoutskiefer am Weg zum Toilettenhäuschen. Ich legte sogar die Tür des Häuschens so, daß ich von dort diesen zerfurchten Baumgiganten betrachten konnte. Es war viel besser, als das Time Magazine zu lesen. Bei starkem Wind schwankte der Stamm mit einer sehnigen Elastizität, in der sich die Biegsamkeit einer Schlange mit der Kraft eines Elefanten vereinte. Nichts Starres war an diesem Stamm. Die dicke Borke, die vielen Holzringe, das Herz des Baumes selbst bewegten sich mit einer Geschmeidigkeit, die eher tier- als pflanzenartig anmutete. Ich ging näher an den Baum heran und stellte mich schließlich dicht an den Stamm, um zu sehen, wie über meinem Kopf tonnenschweres Holz langsam federte. Seine Eleganz und sein Rhythmus faszinierten mich geradezu.
Diese freundlichen Entdeckungen und die Kameradschaft, die sich über die Jahre zwischen mir und den Bäumen entwickelte, hindern mich nicht, sie manchmal zu Überlebenszwecken zu benutzen. Auf sehr handfeste Weise spielen die Bäume in meinem Erwachsenenleben schon länger eine wichtige und manchmal auch gefährliche Rolle.
Früher, ehe ich mein Haus aus Baumleibern baute, hatte ich meinem Mann Morgan geholfen, Holz für das. Hotel zu schlagen. Mindestens vierzig Klafter Feuerholz waren jedes Jahr einzubringen; außerdem mußte Stammholz zur Sägemühle geschafft werden, damit wir Bauholz für laufende Reparaturen und für den Ausbau unseres Gebäudekomplexes bekamen. Da wir vierzehn Kamine zu füttern, acht Ferienhäuser, ein großes Haupthaus, Garagen, Ställe, Bootsanleger und Bretterstege zu unterhalten hatten, mußten wir jeden Herbst eine ansehnliche Menge Holz fällen. Und so wurde ich Lumberjack und wurde auf der Lohnliste des Hotels sogar als solcher aufgeführt.
Aus einem großstädtischen New Yorker Vorort stammend, hatte ich noch nie im Leben eine Axt geschwungen, eine Motorsäge geführt, eine Quersäge gezogen oder einen Keil eingeschlagen. Nach meinem ersten Herbst in den Adirondacks konnte ich jedoch von den vierzig Klaftern zehn Klafter selber schlagen und spalten, mit der Motorsäge und mit dem Winden-Lkw umgehen. Ich war ein Holzfäller oder »Timberbeast«, wie sie hier heißen. Nach einem kräftigen Frühstück pflegten Morgan und ich stahlarmierte Stiefel anzuziehen, dicke lederne Arbeitshandschuhe mitzunehmen und mit zwei Lastern auf alten Holzfällerstraßen in den Wald zu fahren. Der eine Wagen hatte hinten ein A-förmiges Gerüst zum Anheben der Stämme, der andere eine flache Ladefläche. Meist startete Morgan die Motorsäge und begann sich in einen Baum hineinzuarbeiten, während ich aus der Distanz die Krone beobachtete. Fing der Baum zu zittern an, gab ich Morgan Handzeichen, daß er die Säge stoppen und weglaufen sollte. Er mußte aufpassen, daß der angesägte Baum sich nicht in die falsche Richtung lehnte und die Säge einklemmte und daß er beim Fallen nicht ausschlug oder splitterte. Dann standen wir da und hielten den Atem an, bis der Baum dröhnend zu Boden krachte.
Lag er, lief ich meist am Stamm entlang bis dahin, wo die Äste anfingen, und schlug sie nacheinander mit der Axt ab. Ich arbeitete mich nach oben, bis der Stamm zu knotig oder zu dünn wurde, um noch gutes Brenn- oder Bauholz abzugeben. Inzwischen zerlegte Morgan den unteren Teil in Stücke von 2,50 Meter, 3,60 Meter oder 5 Meter, die auf den Lastwagen kamen. Sie wurden entweder beim Hotel in Halbmeterblöcke zersägt und zu Brennholz gespalten oder direkt zur Sägemühle gefahren und zu rohen Balken, Planken und Schwartenbrettern verarbeitet.
Nachdem die ohrenbetäubende Motorsäge gestoppt war und wir unsere Ohrenschützer abgenommen hatten, setzten wir die Lkw’s in Bewegung. Der Windenwagen wurde so nah wie möglich an den zersägten Baum herangefahren, daneben kam der Lastwagen. Ich löste die Windenbremse, zog das
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