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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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94-Millimeter-Drahtseil vom Wagen herunter bis zum Baum, schlang das Seil um das dicke Ende des ersten Stammblocks und hakte es fest. Morgan bediente die Winde vom Führerhaus des Wagens aus. Sobald ich mich vergewissert hatte, daß das Seil glatt und ordentlich über die Rolle lief, gab ich mit aufwärts gerichtetem Daumen das Zeichen: »Einholen.«
    Morgan startete die Winde, und der Block wurde durch den Wald geschleppt. Als wir ihn nahe beim Lastwagen hatten, ließ Morgan das Seil nach, und ich löste es von dem Block. In den Haken am Seilende wurden nun zwei schwere eiserne Zangengreifer aufgehängt, und diese plazierte ich so, daß sie den Block in der Mitte faßten.
    Daumen nach oben, beobachtete ich, wie das tausendpfündige Monster sich hob und über mich hinwegschwenkte (hoffentlich riß jetzt nichts!). Mit Hin- und Herschieben wurde der Block über der Ladefläche in die richtige Position bugsiert; dann ließ Morgan ihn herunter. Ich hüpfte auf die Ladefläche und hakte die Greifer los. Untergeschobene Keile sorgten dafür, daß mir der Block nicht auf die Füße rollte. Nun, ehe der nächste Block eingeholt wurde, kam ein kleines Spielchen, das überhaupt der Grund dafür war, daß ich diesen Teil der Ladearbeit bevorzugte. Ich stellte mich mit den Stiefeln in den Greifer und hielt mich am Seil fest; während Morgan langsam nachließ, schwebte ich vom Wagen zur Erde, schaukelnd wie ein Affe an der Liane.
    Eines Morgens, als wir schon sechs Blöcke geladen hatten, wollte ich mein Spielchen wieder spielen. Ich packte das Seil direkt unterhalb der Rolle, und Morgan schaltete die Winde ein. Aus Versehen ließ er das Drahtseil aber aufwärts statt abwärts laufen. Ehe ich wußte, wie mir geschah, wurde meine Hand im Handschuh, Zeigefinger voran, nach oben in die Rolle gezogen. Ich schrie entsetzlich. Morgan riß zu Tode erschrocken an der Windenbremse und würgte den Motor ab. Da hing ich. Weitere Schreie. Morgan erwachte aus seiner Erstarrung, startete den Motor wieder und ließ mich zu Boden. Der Schock, daß ich drauf und dran gewesen war, durch den Fleischwolf gedreht zu werden, ließ mich fast in Ohnmacht fallen. Ich hatte Angst, den Handschuh auszuziehen. Morgan stürzte mit mir zu einem Bach, spritzte mir ein paar Handvoll eisiges Wasser ins Gesicht und steckte meine rechte Hand ins Wasser. Als sie von der Kälte gefühllos geworden war, zog er langsam den Handschuh herunter. Die blutige Wunde ließ nicht erkennen, ob Knochen gebrochen oder Sehnen gerissen waren.
    Der Lastwagen war zum schnellen Fahren schon zu schwer beladen, deshalb trug Morgan mich zum Windenwagen, und in holpriger Fahrt ging’s über sechzig Kilometer Wald- und Feldwege und Landstraßen bis zum nächsten Krankenhaus mit Röntgengerät. Glück gehabt: kein Finger gebrochen, nichts war bewegungsunfähig geworden. Wenige Wochen später war ich wieder bei der Arbeit — nur bediente ich jetzt die Winde und ließ Morgan die Stämme handhaben.
    Ja, die Holzfällerei kann gefährlich sein; allerdings blieb dies unser einziger Unfall in den mehreren Jahren Holzfällen. Allmählich lernte ich, geschickter mit der Motorsäge umzugehen. Ich konnte Äste über meinem Kopf abschneiden, Bäume lösen, die sich mit anderen Bäumen verkeilt hatten, zusammengeklemmte Stämme mit einem Unterschnitt trennen, Bretter aussägen und sogar einfache Schreinerarbeiten verrichten. Diese Vorkenntnisse haben mir später den Hüttenbau ermöglicht und alles viel leichter gemacht, als ich mir gedacht hatte.
    Als Vor- und Nachsaisonkoch beschäftigten wir im Hotel damals Stan, einen ehemaligen Lumberjacckoch. Viele Stunden verbrachten wir zusammen, er fleischbratend, ich kuchenbackend, und vereint sangen wir Holzfällerlieder.
    Stan flößte mir einen Heidenrespekt vor den »Timberbeasts« früherer Zeiten in den Adirondacks ein. Er erzählte mir von dem Wolfshunger dieser sagenhaften Männer, die zum Frühstück ein Dutzend Eier und einen stiefelgroßen Stapel Pfannkuchen verschlangen; von ihrem ungeheuren Energiebedarf — über sechstausend Kalorien täglich — , damit sie stundenlang die Quersäge ziehen, auf glitschigen Baumstämmen flußabwärts reiten, Astwerk abhauen, Holz spalten, Stämme laden und in Zwölf-Stunden-Schichten Pferdegespanne fahren konnten. Stan lachte immer, wenn ich heißhungrig vom Holzhacken hereinkam und mich an Bratenscheiben und zwei Stück Kuchen gütlich tat.
    »Du ißt wie ein Cockerspaniel«, sagt er. »Und deine Gäste

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