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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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essen wie Zwergpudel. Du hättest die Mahlzeiten sehen sollen, die ich damals für die Holzfäller zubereitet habe!«
    Auch vom Leben in den Holzfällerlagern erzählte er mir. Meist gab es eine Baracke mit schmalen Bettkästen, ein Küchenhaus und einen Eßplatz. Beim Essen durfte nicht gesprochen werden (außer, um den zweiten, dritten und vierten Nachschlag zu bestellen), damit es keine Meinungsverschiedenheiten und vielleicht Schlägereien gab. Abends fielen die Männer auf armselige Strohlager. Oft mußten sie sich am Tage Läuse aus dem Haar klauben. Waschmaschinen gab es im Lager nicht, aber hin und wieder kochte der Koch oder die Köchin die Kluft der Männer über einem Holzfeuer aus, um sie einigermaßen vom Harz, Schweiß und Schmutz zu säubern. Die Holzfäller arbeiteten den ganzen Winter ohne Unterbrechung (und ohne Alkohol). Transportmöglichkeiten nach draußen und von draußen gab es nicht, außer in Notfällen. Dann, während des nächsten Stadturlaubs, verjubelten sie unter Umständen ihren ganzen Verdienst.
    »Du lieber Gott!« erklärte Stan. »Diese Saufgelage! >Adirondack-Haarschnitt< nannte man sie. Manche Haarschnitte haben drei Wochen gedauert.«
    Von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an stieß die Holzwirtschaft in die Adirondacks vor. In richtiggehenden Wellen kamen die Holzfäller. Die meisten stammten von außerhalb der Berge, aus den Acker- und Weidetälern und Flußniederungen. Es waren Frankokanadier, Schweden, Deutsche, Iren und Waliser. Sie schlugen das Holz und schleppten es mit riesigen, klugen, geduldigen Pferden aus dem Wald. Der Winter war für den Holztransport mit dem Schlitten die beste Zeit, weil die Waldwege mit Wasser begossen werden konnten und sofort vereisten. Das erleichterte es den kräftigen Gespannen, schwere Lasten zu ziehen. Am nächsten See, Fluß, Kanal oder Bach wurden die Stämme gestapelt und im Frühling in das von der Schneeschmelze hochgehende Wasser geworfen. Gewandte Flößer mit Nagelschuhen, Flößerhosen und Hakenstangen ritten die Stämme flußabwärts zur Sägemühle oder Bahnstation.
    »So mancher hat bei dieser Flößerei das Leben verloren«, bedauerte Stan, während er Sauerteig für Biskuits knetete. »Wer einmal in das eisige Wasser fiel, ist entweder ertrunken, hat einen Stamm vor die Rübe gekriegt oder wurde in einer Baumstammverkeilung zerquetscht. Die Verkeilungen waren das Gefährlichste.« Dann setzte er fröhlich hinzu: »Hast du gehört, was mit dem Lumberjack passiert ist, der letzte Woche beim Tupper Lake ins Gras gebissen hat? Die Klammern an seinem Windenseil haben nachgegeben, und er hat einen zwölfhundertpfündigen Stamm auf den Kopf gekriegt. Ja, ja, die Holzfällerei war schon immer eine gefährliche Arbeit!«
    Biskuits mit einem Förmchen ausstechend, dachte ich daran, wie viele Stämme schon über meinem Kopf geschwebt hatten, und mir schauderte. Dann überlegte ich mir, wieviel leichter und sicherer es die heutigen Holzfäller haben. Das NIOSH (»National Institute of Occupational Safety and Health«, eine Organisation für Arbeitsschutz und Unfallverhütung) wacht über sie; sie leben normalerweise zu Hause, fahren täglich zur Arbeit, bekommen besser zu essen und haben hochentwickeltes technisches Hilfsgerät. Ihre Raufhändel und ihr Trinken können sie am Wochenende erledigen. Adirondack-Haarschnitte sind aus der Mode gekommen. Läuse auch.
    Aus der Mode gekommen ist auch die damalige Raubbau-Mentalität. Im letzten Jahrhundert haben Opportunisten in den Adirondack-Wäldern fürchterlich gehaust. Ihr Credo lautete: Was wächst, wird gefällt. Kahlschlag und Holzdiebstahl waren an der Tagesordnung. 1850 hatte der Staat New York den höchsten Holzeinschlag aller Bundesstaaten. Diese Mentalität führte zu rabiater Walddezimierung. Weite Landstriche wurden glattrasiert — erst kamen die hohen Kiefern und Fichten als Masten für Segelschiffe und als schwere Pfähle für Hafenkais an die Reihe, dann die kleineren Nadelbäume als Bauholz, dann die Hemlocktannen wegen der Gerbsäure in der Rinde und schließlich die Laubbäume für Furniere, Möbel, Werkzeuggriffe und andere Holzwaren.
    Weitere riesige Verluste entstanden durch Waldbrände. Funken aus Holzfällerlagern und Dampflok-Schloten fielen in zundertrockene Ast-, Stammholz- und Rindenstapel. Brände schwelten im Waldhumus oder sprangen in die Kronen und wüteten wochenlang als Flächenbrand, dem niemand Einhalt gebot. Die Menschen bemerkten, daß die Bäche und

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