Allein in der Wildnis
Flüsse der Adirondacks »von Jahr zu Jahr schmaler und launenhafter wurden«.
Die Adirondacks mußten gerettet werden. Langsam gewann in der Öffentlichkeit der Naturschutzgedanke an Boden, und Gesetzes-Initiatoren begannen zu kämpfen. 1885 entstand das staatliche Adirondack-Schutzgebiet (Adirondack Forest Preserve). 1894 wurde die Verfassung des Bundesstaats schließlich um die berühmte Zusatzklausel »Wildnis für ewige Zeiten« (Artikel 14) erweitert, zum Schutz der Wälder und Flußeinzugsgebiete.
Der Wortlaut dieser juristischen Perle: »Alle heutigen und später erworbenen Staatsländereien, die das gesetzlich festgelegte Schutzgebiet ausmachen, sollen auf ewige Zeiten als wildes Waldgebiet bewahrt bleiben. Sie dürfen nicht verpachtet, verkauft und getauscht und weder von Staats- noch von Privatfirmen übernommen werden; der Wald darauf darf nicht verkauft, abgeschlagen oder zerstört werden.«
Dieses weitsichtige, damals bahnbrechende weise Naturschutzgesetz hat es überhaupt erst möglich gemacht, daß mein Hüttentraum hier — im zweitvolkreichsten Bundesstaat der USA — realisiert werden konnte. Dank diesem Gesetz habe ich einige hundert Quadratkilometer unberührten Wald als Hinterhof. Welches abgewirtschaftete verwüstete Stück Land ich sonst hätte übernehmen müssen — ich wage nicht daran zu denken.
Viele tausend Festmeter Holz werden auch heute noch in den Adirondacks geschlagen. Die Holzindustrie ist hier oben unser zweitwichtigster Wirtschaftszweig, aber sie operiert nur auf Privatland. Mehrere Papierkonzerne — International Paper, Litchfield Paper und St. Regis Paper — haben eigene Holzfällerbetriebe. Das Holz wird zu großen Mühlen außerhalb des Adirondack-Parks gefahren. Auf der Straße nach Hawk Hill begegne ich oft schwerbeladenen Holzlastern, die zur Ticonderoga-Papierfabrik wollen. Ich mache immer einen weiten Bogen um sie und würde im Ernstfall lieber seitwärts in einen Sumpf flüchten, als einen Zusammenstoß mit einem solchen Zwanzigtonnen-Ungetüm zu riskieren, dessen hohe, wuchtige Ladung meinen kleinen Halbtonner drohend überragt.
Vor Axt und Motorsäge ist der Baumbestand auf Staatsland nun geschützt, nicht jedoch vor Blitz und Sturm. Bei den großen Windbrüchen von 1950 und 1954 knickten ganze Wälder wie Streichhölzer. Diese zwei Katastrophendaten sind für die örtliche Geschichte immer noch Bezugspunkte. Am Vorabend eines weniger katastrophalen Sturmes bin ich einmal die ganze Nacht durch den Wald gestreift. Es war warm wie in den Tropen. Ein wilder Wind, von Miami hochkommend, blies. Schwüle sättigte die Luft, in den Böen trieben Wolkenberge, und die Düfte des Golfs von Mexiko schienen in der Luft zu liegen. Ich krempelte mir die Ärmel hoch und blieb an einem Bach stehen, um mir den Schweiß vom Gesicht zu waschen. Über mir knarrten und krachten die Äste. Von Zeit zu Zeit brach hohes Holz und stürzte zu Boden. Durch ein kurz aufreißendes Fenster in den blauschwarzen Wolken leuchtete fahl der Dreiviertelmond. Ich war zu begeistert, um Angst zu haben, zu aufgewühlt, um zu ermüden. Gegen fünf Uhr morgens legte sich der Wind. Erst dann ging ich ins Bett, noch immer ohne Bewußtsein der Gefahr, der ich mich leichtsinnig ausgesetzt hatte.
Als ich aufwachte, boten sich mir Bilder der Verheerung. Einige Teile der Adirondack-Wälder waren wie von der Sense niedergemäht worden. Das Trümmergewirr aus gestürzten Stämmen lag bis zu sechs Meter hoch. Einige der schönsten, ältesten Waldbestände des Nordostens waren in diesem Sturm zugrunde gegangen. Solche Windbrüche wirken noch jahrelang nach. An manchen Stellen, wo sich der Wald lichtete, vermehrte sich das Hirschwild rapide; an anderen Stellen, wo die gestürzten Bäume alle Bewegung blockierten, verhungerte es. Die Holzwirtschaft erlitt schwere Verluste, bemühte sich allerdings, möglichst viele gefallene Stämme zu bergen, ehe die Verrottung einsetzt. Wanderer und Kampierer fanden Wege und Lagerplätze zerstört oder versperrt. Zudem trocknete in den Windbrüchen das Holz aus und erhöhte die Feuersgefahr.
Es erscheint merkwürdig, daß ich damals in dem starken Sturm überhaupt keine Angst davor empfand, im Wald spazierenzugehen, heute aber Furcht vor fallenden Bäumen habe. Diese Furcht ist jetzt beinahe so stark wie meine Feuersangst. Aber ich gehe hier ganz bewußt ein Risiko ein. Ästhetisch ist es mir wichtiger, die Vier Schwestern in einer windigen Nacht vor dem Sternenhimmel
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