Allein in der Wildnis
nachträglich das Zittern ein, aber Edward versichert mir, daß das beim Flußfahren normal ist. Es dauert einige Zeit, bis ich mich beruhige, aber von jetzt an erscheint jede Stromschnelle zahm. Ed braucht kaum noch Anweisungen zu rufen. Stolzgeschwellt bringen wir die Reststrecke hinter uns.
Nachdem ich den Hudson »gemacht« habe, kehre ich zum Black Bear Lake heim und setze mich zum Vergleich in ein Guideboot. Meins ist rot, an beiden Enden spitz zulaufend, und wiegt sechsunddreißig Pfund. Ich muß zugeben, daß ich einen Seufzer der Erleichterung und der Zufriedenheit ausstoße, wie ich über den stillen See gleite. Auf ruhigem Wasser kommt man in einem Guideboot mit Riemen schneller voran als im Kanu mit einem Paddel. Das Guideboot ist das einzige heimische Fahrzeug in unseren Bergen. Für den Guide, den Wildnis- und Fremdenführer, »gab es kein anderes«. Nach den alten Guides benannt und für sie entwickelt, waren die Boote unentbehrlich. Straßen gab es nicht; aller Verkehr in den Adirondacks spielte sich auf dem Wasser ab. Das Guideboot mußte leicht genug sein, um über Land getragen werden zu können, stabil genug, um damit stürmische Seen zu überqueren; schnell und leise genug, um damit zu jagen, zu fischen und lange Strecken hinter sich zu bringen.
Alfred Billings Street schrieb in Woods and Waters (1860): »Diese Boote sind dunkelfarben, schlank wie eine Pike und leicht wie ein Kork. Elegant aus dünner Kiefer gebaut, mit Spanten aus Tanne, wiegen sie achtzig bis hundertzehn Pfund und sind trotz ihrer Kleinheit den rauhesten Wellen gewachsen.« Winslow Homer verewigte sie in seinem Adirondack-Gemälde »The Guide-boat« und anderen.
Die ursprünglichen Hersteller dieser dunkelfarbenen Boote sind heute verschwunden. Ein paar Bootsbauer mag es noch geben, die die alte Tradition am Leben erhalten und die in ihrer Freizeit in ihrer Garage oder im Hobbykeller Guideboote bauen. Das Adirondack-Museum in Blue Mountain Lake unterhält ein fabelhaftes Bootshaus mit einer Ausstellung seltener alter Guideboote. Weitere Boote befinden sich in der Hand von Instituten und ein paar glücklichen Privatsammlern. Verkauft werden sie selten. Für ein 4,30-Meter-Boot muß man zweitausend Dollar und mehr auf den Tisch legen. Im Bootshaus des exklusiven Ausable Club bei St. Hubert’s zählte ich einmal sechzig Guideboote auf den Gestellen! Es war, als sähe man sechzig Rembrandts an einer Blockhüttenwand hängen.
Zum Schutz der kostbaren Flüsse und Bäche, auf denen heute unsere Kanus und Guideboote fahren, ist in den Adirondacks eine umfassende Bestandsaufnahme in Gang gesetzt worden. Dank eines Gesetzes mit umständlichem Titel haben wir die Möglichkeit, die noch verbliebenen natürlichen Flußläufe unter Schutz zu stellen. Jedes Gewässer, das als schutzwürdig erachtet und in dieses System einbezogen wird, bleibt von Gesetzes wegen vor Mißbrauch und Übererschließung — besonders vor wasserbaulichen Eingriffen — bewahrt. Ohne diese Maßnahmen würden viele Wasserläufe bald ihrer Reinheit und Schönheit, ihrer Wildheit und ihrer Flora und Fauna verlustig gehen.
Flußstudien werden in unseren Bergen von der Adirondack-Parkverwaltung mit Unterstützung einiger qualifizierter Bürger und Privatgruppen durchgeführt. Rund zweitausend Kilometer Adirondack-Flüsse sind schon unter Schutz gestellt, und weitere zweihundertfünfundzwanzig Kilometer werden derzeit studiert. Wohl keine andere Region im Osten bietet dem Naturfreund noch so viele freifließende Flüsse. Legte man sie der Länge nach aneinander, hätte man eine Wildwasserstrecke, die von der kanadischen Grenze bis nach Miami reichte.
An einem Nieselregentag Anfang Mai begleitete ich Clarence Petty, meinen Favoriten unter den alten Waldläufern, mit meinem Kanu und meinem Hund bei einer Flußerkundung auf dem Westarm des Oswegatchie River. Clarence, ein versierter Biologe, leitet schon seit vielen Jahren die Fluß-Feldstudie der Parkverwaltung. Besagter Westarm des Oswegatchie fließt, braun wie Bockbier, vom Cranberry Lake durch die verlassenen tannenbewaldeten Niederungen der Nordwest-Adirondacks. Clarence und die übrigen Biologen aus seinem Team machten fleißig Notizen, schossen Fotos, wischten ihre Kartenhalter und Schreibplatten trocken, schätzten Wassertiefen, Strömungsgeschwindigkeiten, die Breite von Überschwemmungsgebieten, stießen Äste beiseite, horchten auf Wildtiere, hielten nach Fischen Ausschau und stiegen gelegentlich aus, um
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