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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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Udall an.
    Ich halte mich nicht für tauglich, an diesem Rennen teilzunehmen, aber mich sticht der Hafer, den mächtigen Fluß einmal zu befahren. Ich setze mich mit einem Freund in Verbindung, und wir arrangieren es, an einem Sonntag mit einem Kanuclub bei einem Ganztags-Wildwasserausflug mitzumachen. Wir planen den Trip für die Woche vor dem Rennen. Der Hudson hat die Pegelmarke 1,45 Meter erreicht. Etwa anderthalb Kilometer nach der Mündung des Indian River soll es losgehen, und bei der Mündung des North Creek, rund dreißig Kilometer flußabwärts, soll es enden. Ich werde in eine orangerote Rettungsweste geschnürt und in einer Leinwand-Abdichtung festgeknöpft, die dafür sorgen soll, daß nicht allzuviel Wasser ins Boot schlägt. Mein Freund Edward, ein kräftiger, über 1,80 Meter großer, erfahrener Wildwasserfahrer, übernimmt das Heck. Wir haben noch nie zusammen gepaddelt, spielen uns aber schnell aufeinander ein. Von Zeit zu Zeit ruft Ed Anweisungen: »Hart links!« oder »Voll zurück!«
    Es ist eine Fahrt voll Angst und Bangen. Saugend strudeln Wellen, Brecher und Wirbel um große Felsen. Der Hudson hat enormes Tempo. Wir denken, arbeiten, keuchen, rufen, kämpfen jede Minute gegen die Strömung. Zwei von den sechzehn Kanus unserer Gruppe verkeilen sich in Felsen und müssen aufgegeben werden; eine Stunde mühen wir uns vergeblich mit Winden und Seilen, sie freizubekommen. In ein paar Sekunden haben die Besitzer ein Boot, Paddel und Ausrüstung im Wert von fünfhundert Dollar verloren. Sie können von Glück reden, daß sie unverletzt geblieben sind.
    Als wir uns Blue Ledges nähern, einer engen Schlucht mit steilen Wänden, legen wir eine Atempause ein. Ed deutet auf einen dicken Felsblock und ruft: »Dahinter ruhen wir uns etwas aus.«
    Wir wenden das Boot im Strom um 180 Grad und fahren mit dem Bug hinter den Felsbrocken, wo im toten Winkel das Wasser flußaufwärts kreist. Hier, abgeschirmt vom großen Strom, können wir das Boot mit leichten Paddelschlägen an Ort und Stelle halten. Meine Arme schmerzen, und trotz der Abdeckung sind meine Beine naß. Ed grinst entzückt. »Herrlicher Fluß, was? Du machst deine Sache gut. Die größten Stromschnellen stehen uns noch bevor.«
    Ich rolle verzweifelt die Augen und sage: »Vielleicht steige ich aus.«
    »Nein, nein, das schaffen wir. Aber wir halten vorher noch einmal und kundschaften die beste Route aus.«
    Mich überläuft ein Frösteln. Der Fluß verlangt einem doch mehr ab, als ich dachte. Ich blicke an den Felswänden hoch, die sich sechzig Meter über uns türmen. Dies ist eine der grandiosesten Schluchten am Oberen Hudson. Blaugraue Klippen verdüstern das Sonnenlicht, Felsbrocken sprenkeln, wahllos umhergestreut, das Flußbett. Wir stoßen wieder ab, lassen uns von der Strömung drehen, schießen weiter flußabwärts. Als Bugmann muß ich hart mitkämpfen, damit unser Boot nicht zum Wrack wird wie die zertrümmerten Kanureste, die wir an einigen Uferstellen liegen sehen.
    Ed hält Wort. Vor der gefährlichsten Stromschnelle stoppt er und läuft Ausschau haltend am Ufer entlang. Ich hüpfe auf und nieder, durchnäßt bis auf die Knochen, mit triefenden Zöpfen und vom langen Knien steifen Beinen. Dann faßt mich Ed am Ellbogen und sagt: »Ich hab die Route. Du mußt nur genau alles machen, was ich sage, so schnell und so kräftig du kannst. Wir schaffen es.«

    Ich will nein sagen, will es jemand anderem überlassen, es mit der Stromschnelle aufzunehmen, aber ein Anflug von Stolz hält mich zurück. Ich kauere mich wieder in den Bug, schnalle meine Schwimmweste enger, ziehe die Bootsabdeckung dichter um mich und nehme das Paddel.
    »Jiiiiiiiiiiii!« schreit Ed jubilierend, wie der schäumende Strom uns packt. Er ist so berauscht und ausgelassen wie ein Teenager beim Tanz. Vor uns knickt der Fluß steil nach unten ab. Es ist, als rutschten wir einen Hügel hinunter, nur daß ringsum spritzende Gischt, Fontänen, Wellen, Blasen und Tropfen explodieren. Ein Angstanfall geht durch meinen Körper und verebbt dann. Zurück bleibt das triumphierende Gefühl, ein wildes Pferd zu reiten, ein Düsenflugzeug zu landen, eine Schußfahrt mit Skiern zu machen. Ed ruft Anweisungen. Unser Kanu fährt sich wunderbar. Wir bezwingen den Oberen Hudson mit Muskeln, zwei stabilen Paddeln und unserem Hirn. Zweihundert Meter flußabwärts flacht sich die Stromschnelle ab, und wir sind durch — in Sicherheit.
    Hundert Meter unterhalb der großen Rutsche setzt

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