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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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Blöcke auszulegen. Dann wurden dank Umweltschützern wie Rachel Carson die Gefahren des DDT entdeckt, und man verzichtete auf die Blöcke. Nun verspritzten Sprühflugzeuge über Seen und Tälern neue Insektizide, von denen manche noch giftiger als DDT, andere fast wirkungslos waren. In den Ortschaften besprühten Sprengwagen alle Straßen, Gärten, Rasenflächen und Golfplätze (sogar Kinder) ausgiebig mit Insektengiften unterschiedlicher Toxizität.
    Heute schläg das Pendel zur anderen Seite aus. Am Black Bear Lake haben mehrere Sommerhausbesitzer schriftlich bei der Bezirksverwaltung Protest gegen das Besprühen ihrer Grundstücke und ihres Sees eingelegt. »Wir werden Vögel zur Insektenbekämpfung einsetzen«, sagte ein intelligenter Nachbar. Er spricht mir aus dem Herzen.
    Da auch ich — zum Schutz der Vögel, Fische, Wasserinsekten, Amphibien und anderer Tiere, die durch Spritzgifte in unseren Bergen gefährdet sind — diesen Standpunkt eingenommen habe, wische ich das getrocknete Blut weg und kratze. Dann zucke ich die Achseln und sage mir: Soll das kleine Biest doch beißen.
    Die Sonne ist untergegangen. Kühle kriecht aus dem schneefeuchten Boden und dem eisigen Seewasser. Mit grauem Dunst durchtränkt sie den Abend. Die Pieper singen lauter und nachdrücklicher. Ich stehe mit steifen Gliedern auf. Nach der Euphorie des Tages senkt sich Melancholie herab. Von der Sonnenwärme zur Nebelkälte — alles an einem Tag, alles in einem Leben. So wird der Frühling immer für mich sein: flüchtig, bittersüß.

11
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Sommer

    Wenn der Frühling rasch hineinblüht in den Sommer, fühle ich mich an den Tempowechsel in einer Sinfonie erinnert: von allegro zu andante. Der Sopran der Pieper weicht dem Bariton der Ochsenfrösche; das Lied des Winterzaunkönigs wird von den glockenähnlichen Klängen des Blauhähers übertönt. Das Pastell der debütierenden Blätter verfärbt sich zu tieferen Grüntönen. Charlie, ein älterer Freund, Bandleader im Ruhestand aus Chicago, besucht mich an einem langen Juniwochenende zum erstenmal. Er klagt: »Hier oben ist alles so grün. Als hörte man dauernd ein Tenorsaxophon.«
    Sein untrainiertes, an den Beton der Stadt gewöhntes Auge nimmt die feinen Unterschiede in den Farbtönen nicht wahr. »Schau«, sage ich und deute auf meine jungen Weymoutskiefern, die ich dicht an der Hütte angepflanzt habe, wo sie vor Verbiß durch Hirsche und Schneeschuhhasen sicher sind. Schüchtern strecken sie ihre neuen apfelgrünen Nadeln zur Sonne; die Nadeln aus dem letzten Jahr sind olivgrün geblieben. Ich führe meinen Freund in den kleinen Tannenwald. »Schau, Charlie.« Die frischen jungen Triebe sind glänzend chartreusegrün, im Gegensatz zum stumpfen Flaschengrün der vollausgewachsenen Tannenäste.
    Charlie nickt höflich. »Ja, aber es ist immer noch alles grün, so eindimensional.«
    Fröhlicher wird er, als wir über den Berg nach Hawk Hill fahren. Am Straßenrand überall eine Farbexplosion: weiße Gänseblümchen, orangefarbenes Habichtskraut, gelbe Schwertlilien, blaue Zichorie, rosa Joe Pye Weed, elfenbeinfarbener Walddost, purpurne Prunellen. All diese Wildblumen bringen Buntheit an die schmalen grasigen Ränder unserer holprigen Straßen. Fast alle aber sind sie transplantiert, von außerhalb der Adirondacks hergeweht oder hergebracht worden. An den gemähten Straßenrändern haben sie passenden Lebensraum gefunden. In den unberührten Wäldern und Biberwiesen der Adirondacks kommen nur wenige natürliche Wildblumen vor.
    Meinem Besucher läßt das Thema der Vegetation um meine Hütte keine Ruhe. »Willst du nicht mal ein paar nette Blumen anpflanzen?« schlägt Charlie vor.
    »Welche denn?« frage ich.
    »Na, Geranien, Rosen, Herbstrosen, Begonien, Dahlien.«
    Ich stöhne innerlich. Ich will nicht, daß diese Gartenblumen sich hier an meiner Hütte breitmachen, samt dem Rattenschwanz an Werkzeugen, Düngemitteln, Insektiziden, Spalieren, Kästen, Torfsäcken, Kalk etc. Nicht einmal einheimische Adirondack-Blumen — wilde Azaleen, Veilchen, Kalmie, Wildiris, Ruprechtsstor-chenschnabel — will ich um mein Haus pflanzen. Dann müßte ich aufpassen, wo ich hintrete, müßte zum Schutz gegen die Hirsche einen Zaun ziehen, müßte Pitzi an eine Laufleine legen. Ich mag mein Land genau so, wie es ist: natürlich, ursprünglich, unberührt.
    »Dagegen«, kontere ich, »sprechen gute Gründe. Vor allem ist das Klima für diese Pflanzen viel zu rauh. Wir haben nur

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