Allein in der Wildnis
zwei, drei frostfreie Monate hier oben.«
»Unglaublich, und das mitten in den USA«, sagt Charlie, ungläubig den Kopf schüttelnd. »Dann könntest du aber doch ein paar von diesen hohen Bäumen fällen, damit du mehr Sonne kriegst. Leg deine Blumenkultur erst mal auf dem Sonnendeck an«. Er erwärmt sich für sein Thema. »Du könntest auf dem Sonnendeck aus starkem Plastik und 5 mal 5 Zentimeter-Kanthölzern ein prima Gewächshaus bauen.«
Er plapperte weiter. Ich schüttle resigniert den Kopf, denn wie viele Sommerhäuser habe ich hier gesehen, um die herum Bäume abgeschlagen, Rasenflächen angelegt, Blumenkästen angenagelt, Gemüsegärten gepflanzt worden sind. Wenn die Besitzer dann ein Wochenende »zur Erholung« kommen, müssen sie die ganze Zeit mähen, düngen, jäten, wässern. Da hätten sie auch gleich in der Stadt bleiben können.
So freundlich wie möglich erkläre ich Charlie, daß ich in New Jersey geblieben wäre, hätte ich einen Blumengarten gewollt. Er lächelt, läßt sich aber nicht klein-kriegen.
»Nur ein kleiner, ein ganz kleiner Versuch«, bittet er. »Laß mich für dich ein Gärtchen anlegen, solange ich hier bin. Nur um zu sehen, was wächst und was nicht.«
»Oder welches Tier es auffrißt und welches nicht«, vervollständige ich den Satz. »Charlie, das Höchste, womit ich mich einverstanden erklären könnte, wäre ein Salatbeet.«
»Gut, gut.« Er ergreift die Gelegenheit beim Schopf. »Ich fahr’ los und kaufe das Saatgut. Du wirst sehen, wie herrlich der selbstgezogene Salat schmeckt.«
Ich gebe nach, teils weil Charlie zu alt und ein zu guter Freund ist, als daß ich ihn verärgern möchte, und teils aus Neugier. Ist das Adirondackklima wirklich so ungeeignet für Nutzpflanzen? Der Name unserer Berge scheint es anzudeuten. Hah-dah-ron-dac, »Baumfresser« oder »Rindenfresser«, nannten die Irokesen abschätzig die Algonkin-Indianer, die in den langen, bitteren Wintern hier oben gezwungen waren, Baumrinde und Zweigspitzen zu essen. Und es gibt herzlich wenig Farmen in den Adirondacks. Die einzigen, die sich behaupten können, liegen in den tiefen Tälern um Lake Placid, wo es Taschen fruchtbarer Erde und ein günstiges Mikroklima gibt.
An einer sonnigen Stelle beim See bereiten wir ein quadratisches Beet vor, dessen Seitenlängen 2,50 Meter messen. Das Seewasser wird temperaturausgleichend wirken. Vielleicht bekommen wir drei völlig frostfreie Monate. Charlie kauft ein Dutzend Päckchen Saatgut, Pflöcke, eine Hacke und einen Beutel Dünger. Ich besorge Kalk für den übersäuerten Boden und organisiere unterwegs an einem Stall einen Kübel Naturdung. Vielleicht hilft auch das.
Nach einem schönen, mit Pflanzen verbrachten Sonntagnachmittag — fünf Reihen legen wir an: nur eine Reihe Salat, dann noch als Charlies Experimente je eine Reihe Radieschen, Möhren, Petersilie und Mais — fährt mein alter Freund heim und hinterläßt mir strikte Anweisungen zur liebevollen Pflege seines Gartens. Selbst Pitzi wird herangezogen; er soll knabberlustige Hasen, Eichhörnchen und Mäuse verjagen.
Die Junisonne wärmt den Garten. Nichts. Der Juniregen fällt darauf. Nichts. Pitzi wird es leid, auf hungrige Herbivoren zu lauern. Die Hacke setzt Rost an. Kein Unkraut ist zu jäten. Das Salatbeet erscheint tot.
Der Juli kommt. Und mit ihm der echte Adirondack-Sommer. Manche sagen, er beginne am 4. Juli und ende am Tag darauf. Ich vergesse den Garten und stelle hochvergnügt meinen Tagesablauf auf Sommer um. Als erstes am Morgen ein Nacktbad im See, so früh wie möglich, ehe Boote und Kanus auftauchen. Scheint die Sonne dann aufs Sonnendeck, trage ich Schreibmaschine, Papier, Bücher, Radio und eine Kanne Camp-Kaffee ins Freie. Gegen elf tuckert das Postboot vorbei. Pitzi läuft zum Anleger, um es abzufertigen. Mit fast leerem Postsack kommt er zum Sonnendeck zurückgehüpft. Gut. Keine Korrespondenz zu beantworten. Nach drei Stunden Arbeit und Sonne habe ich wieder Lust zum Schwimmen, diesmal im Bikini. Pitzi springt mir nach und »rettet mich« mit seinem Schwanz. Ein leichter Lunch, dann halte ich Siesta in meiner zwischen zwei Tannen aufgespannten brasilianischen Hängematte. So gut hatte ich’s im Winter nie!
Faul hingestreckt, fällt mir ein, daß die Hüttenpfosten wieder mal eine Kreosotbehandlung brauchen. Heiße trockene Tage sind dafür am besten; da zieht die Imprägnierung gut ein. Ich klettere aus der Hängematte, ziehe ein altes Hemd, eine alte Hose und alte
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