Allein in der Wildnis
Handschuhe an und heble die 3,8-Liter-Dose auf. Der scharfe Geruch macht mich schlagartig wach. Vorsichtig, damit nichts von der ätzenden Flüssigkeit auf Haut oder Augen kommt, bestreiche ich mit dem schwarzen Zeug die Enden der Pfosten, wo Erde und Nässe Fäulnis hervorrufen können. Manche der Pfosten sind schwer zu erreichen. Ich muß halb unter die Hütte kriechen, den tropfenden Pinsel in der Hand, schwitzend und fluchend. Nach Erledigung der lästigen Arbeit schäle ich mich wieder aus der Kluft und schwimme, diesmal mit Seife und Scheuerbürste.
Zum Abtrocknen spaziere ich zum Garten hinunter. Was sehe ich? Eine winzige, flaumige Reihe zentimeterhohen Grüns sprießt aus dem Boden. Es ist Salat! Charlies saubere Handschrift am weißen Pflock identifiziert die Reihe. Vielleicht muß ich doch keine Rinde essen. Noch heute abend schreibe ich ihm. Dreieinhalb Wochen bis zum Aufgehen! Wann werde ich ihn wohl essen können?
Vor dem Abendessen gehe ich eine halbe Stunde in den Wald und sammle gefallene Äste und sonstiges totes Holz, das der Winter abgeschlagen hat. Ich schleppe es zur Feuerstelle, zerkleinere es und schichte es zu einer Pyramide auf. Nachdem ich sie angezündet habe, gehe ich in die Hütte und suche mir aus dem Gaskühlschrank mein Essen aus. Ein kleines Steak, zwei Maiskolben, einen Salat, Vollweizenbrot. Ich trage alles hinaus und gehe dann zum Anleger, um ein Glas klares, kaltes Seewasser zu holen.
An diesen Sommerabenden kann ich bis halb zehn, manchmal bis zehn Uhr im Freien ein Buch lesen. Noch lange leuchtet der Himmel, nachdem die Sonne fern im nordwestlichen Quadranten untergegangen ist. Dorngrasmücken, Winterzaunkönige, Hemlockwaldsänger und Purpurgimpel haben jetzt die Paarungszeit hinter sich und nisten; sporadisch geben sie aber immer noch Abendkonzerte rund um die Hütte. Fledermäuse, vor kurzem erwacht, huschen über das Wasser.
Fische springen im grauen und rosafarbenen Zwielicht. Unergründlich liegt der See, schwarz wie Onyx. In der Nähe des Quellochs, meiner Lände gegenüber, sitzt ein einsamer Angler in seinem Boot. Ich sehe die Silhouette einer kauernden Menschengestalt und den feinen Strich der Rute. Plötzlich spannt sich die unsichtbare Schnur. Ein krampfhaftes Rucken, dann durchbricht quecksilbrig schimmernd ein Saibling die schwarze Oberfläche. Geschickt hebt der Angler ihn mit einem Kescher ins Boot.
Obschon der Black Bear Lake und Hunderte anderer Seen und Weiher seit Ende des letzten Jahrhunderts von der Umweltschutzbehörde künstlich mit Fischen besetzt werden, gibt es hier immer noch eine Population einheimischer Fische. Einen Saibling oder »Brookie« — vollfleischig, rosafarben, hellgefleckt — aus dem Wasser zu ziehen, ist der Traum jedes Anglers. Dagegen verblaßt ganz wörtlich das bleiche, weiche, lebergefütterte Kunstprodukt der Fischzuchtanstalten. Aufgrund der starken öffentlichen Inanspruchnahme der Ressourcen wären jedoch viele unserer Adirondack-Seen ohne künstliches Aussetzen praktisch fischlos, und die Sportsmänner würden leer ausgehen. Mittlerweile bedroht eine neue Gefahr die Adirondack-Seen. Saurer Regen aus Detroit, Chicago und anderen Industriegebieten bringt offenbar Chemikalien als Fallout mit, verändert den pH-Wert unserer Seen (auch in New Hampshire, Ontario und anderen Gebieten im Nordosten) und dezimiert den Fischbestand.
Gleichwohl, das Anglerglück, das ich beobachtet habe, bringt mich auf den Gedanken, mit Rob einen Ausflug zu irgendeinem versteckten Ort zu machen, wo die wirklich großen Brookies liegen. Am nächsten Morgen gegen neun finde ich mich an seinem braunen Haus ein. Eher geht Rob nie in den Wald; er wartet lieber, bis die Post eingetroffen und der Tau getrocknet ist. Er freut sich, Gesellschaft zu haben, und schlägt vor, zum Birch Creek zu gehen, elf Kilometer auf überwachsenen Holzfällerstraßen und kaum sichtbaren Pfaden. Als exzellenter Angler richtet sich Rob nach der Maxime, daß die besten Bäche jene sind, in denen noch keiner gefischt hat. Um diese zu finden, unternimmt er weite Fußmärsche.
Am Birch Creek beobachte ich, wie seine knochigen Hände die Rute zusammensetzen und die Schnur sanft und fachmännisch in den schmalen Bach gleiten lassen. Unter schattigem Torfmoos am Ufer kommt etwas hervorgeschossen. Rob bringt den mühelos an den Haken, und bald landet ein dreißig Zentimeter langer Saibling vor meinen Füßen. Meine Technik ist weit weniger gekonnt; trotzdem machen wir bis zum
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