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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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die Ufer des neuen Teichs schon besiedelt hatte, gelangte ich zur Burg der beiden. Wie die meisten Frischvermählten hatten sie nur ein bescheidenes Heim: ein Meter hoch und drei Meter Umfang an der Basis. Nach ein paar Jahren Biberehe mochte es zwei Meter hoch sein und der Umfang sieben Meter betragen. Ich fragte mich, ob sie schon Junge darin hatten; zur Beobachtung setzte ich mich hin, schmierte mich frisch mit Insektenabschreckungsmittel ein und wartete. Binnen kurzem hörte ich das typische leise Quieken und Brabbeln von Biberjungen. Vor meinem geistigen Auge sah ich sie auf der Schlaf- und Eßplattform ein paar Zentimeter über dem Wasser liegen, vielleicht von der Mutter gesäugt. Im Mai oder Juni geboren, müßten die Kleinen jetzt schon klaräugig, gut im Pelz und schwimm- und tauchfähig sein. Ich versuchte zu schätzen, wie viele es waren. Zwei? Vier? Sechs?
    Da schien sich das Wasser zu meinen Füßen unmerklich zu heben. Ich hielt den Atem an. Das Männchen war wahrscheinlich in der Burg durch das Schlupfloch nach draußen getaucht und schwamm jetzt unter Wasser. So weitab von Menschen, Motorbooten und Kanus brauchte es sich tagsüber nicht besonders vorzusehen. Es schwamm dicht an mir vorbei, ohne mich zu wittern, und steuerte auf einen engen Kanal zu. Augenblick später kam es mit einem Ast im Maul zurück. Ich konnte seine scharfen gelben Nagezähne in der Sonne glitzern sehen. Diese Zähne wachsen fortlaufend nach und bedürfen der ständigen Abwetzung und Abnutzung, wobei sie sich auch immer wieder neu schärfen. Würde der Biber aufhören sie zu gebrauchen, wüchsen sie sich für ihren Besitzer bald zum physischen Hindernis aus. So ist das in der Natur, dachte ich. Alles hat seinen Sinn. Was nicht benutzt wird, wird oft zur Belastung.
    Ohne eine Wellenregung zu verursachen, tauchte das Männchen ab und verschwand in Richtung Burg. Bald hörte ich ein mampfendes Geräusch, als kauten mehrere Leute Stangensellerie. Die Familie saß zu Tisch, kein Zweifel. Jetzt war das Männchen wieder draußen und strebte diesmal dem fernen Ufer zu. Ich beobachtete es, wie es den kleinen Abhang hinaufwatschelte, mit den Vorderpfoten einen Gelbbirkenstamm umfaßte und ihn an der Basis zu benagen begann. Das bekam man selten zu sehen. Ich schaute auf die Uhr: 16 Uhr 15. Der Biber stand mit dem Rücken zu mir, aber ich konnte das knirschende Nagen gut hören. Fünf Minuten vergingen. Ich versuchte abzuschätzen, in welche Richtung der Baum fallen würde (die Biber können das nicht beeinflussen); mit fünfundsiebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit würde er wohl in Richtung Wasser kippen. Die meisten Bäume an See- und Flußufern neigen sich zur Sonne. Und tatsächlich: Nach siebeneinhalb Minuten Nagearbeit erzitterten die Äste, und der Baum fiel klatschend in den Teich, im stillen Wasser Wellen schlagend. Die Wellen dienten vielleicht als Signal; Minuten später sah ich nämlich das Weibchen und fünf kleine Kopien mit V-förmigem Kielwasser in Richtung Birke schwimmen.
    Fasziniert verfolgte ich, wie sie sich um den schwimmenden Stamm gruppierten, auf der einen Seite der Vater und ein Junges, auf der anderen die Mutter mit vier Jungen. Sie begannen weiße Furchen in die Rinde zu nagen. Sie sahen so zufrieden aus wie eine Farmersfamilie beim Sonntagsbraten.
    Da ich sie nicht aufschrecken wollte, schlich ich mich leise rückwärts und machte mich über ihren kleinen Damm davon. Eine Forelle kam hoch und schnappte sich eines der Insekten, die in Myriaden den neuen Teich umsummten. Schwalben machten Sturzflüge über dem Wasser, Frösche quakten im Chor, ein Kanadareiher erstarrte im Bach zur Statue. In der Abenddämmerung mochten Hirsche zum Trinken und Nerze zum Jagen hierher kommen. Alles, was noch fehlte, war ein Elch.
    Biberteiche, das wußte ich, schaffen nicht nur Räume für vielfältiges neues Tierleben, sondern dienen auch in Dürrezeiten als kostbare Wasserlöcher, wie Alligatorlöcher in südlichen Sümpfen anderen Tieren Zuflucht bieten. Sie stellen sich Waldbränden als Barriere entgegen, halten den Grundwasserspiegel hoch, bremsen zu Tal stürzendes Wasser und fangen fruchtbare, vom höheren Land abgeschwemmte Erde als Sediment wieder auf. So haben Biber — und sei es auch nur ein einziges Pärchen — einen spürbaren ökologischen Effekt.
    Auf meinem Heimweg zur Hütte überquerte ich eine alte, alte Biberwiese. Vor Jahren hatte sie einmal ausgesehen wie der frische Teich, von dem ich gerade kam. Der

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