Allein in der Wildnis
Brian die Eier aus dem Sand, eins nach dem anderen. Es waren siebzehn Stück insgesamt, eines so rund und weiß wie das andere. Sie hatten eine elastische Schale, wie Leder, die kaum nachgab und nicht zerbrach, wenn er sie drückte.
Reich beschenkt fühlte sich Brian, als er die kostbaren Eier zu einer kleinen Pyramide aufgeschichtet hatte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen – doch er erschrak. Wie sollte er sie essen?
Er hatte ein Feuer, aber keinen Topf, um sie zu kochen; keine Pfanne, um sie zu braten. Bei der Vorstellung, ein rohes Ei zu essen, wurde ihm schlecht. Sein Onkel Carter, ein Bruder seines Vaters, verquirlte jeden Morgen ein rohes Ei in einem Glas Milch und stürzte es mit einem Zug hinunter.
Nur einmal hatte Brian dabei zugeschaut, und als das zähflüssige Eiweiß aus dem Glas in den Mund des Onkels schwappte, hatte Brian beinahe sein Frühstück erbrochen.
Trotzdem. Es musste sein. Wenn einem der Magen an den Rippen klebte, dürfte man nicht so wählerisch sein. Es gab Menschen auf dieser Welt, die verspeisten Heuschrecken und Ameisen als Delikatessen. Da würde er es doch schaffen, ein rohes Ei hinunterzuschlucken!
Er nahm eines in die Hand und versuchte es aufzubrechen. Die Schale war aber erstaunlich zäh. Brian spitzte mit seinem Beil ein Stöckchen an und stach damit ein Loch in das Ei. Er bohrte das Loch mit dem Finger nach und spähte hinein. Es war ein ganz normales Ei. Es hatte einen tiefgelben Dotter und weniger Eiweiß, als er erwartet hatte.
Es war ein normales Ei. Es war Nahrung – dringend benötigte Nahrung. Er musste das Ei essen. Und zwar roh.
Brian holte tief Luft, hob das Ei an die Lippen, kniff die Augen zusammen und saugte das flüssige Ei in den Mund, während er die Schale zusammendrückte. Er schluckte, so schnell er konnte.
»Brrr …«
Es hatte einen öligen, etwas ranzigen Geschmack, aber es war ein Ei. Schon würgte es Brian im Hals, sein ganzer Körper zog sich zusammen, aber sein Magen wollte die Speise nicht hergeben; er behielt das Ei bei sich – und verlangte nach mehr.
Beim zweiten Ei ging es schon etwas leichter. Beim dritten gab es gar keine Probleme mehr. Es glitt wie von selbst hinunter. Sechs Eier verspeiste er nacheinander und er hätte sie alle verschlingen können. Doch eine innere Stimme befahl ihm, sich zu beherrschen und den Rest für später aufzusparen.
Nie hätte Brian geglaubt, dass er so hilflos dem Hunger ausgeliefert sein könnte. Die erste Nahrung nach so langer Zeit hatte eine wilde Gier in ihm angefacht. Nachdem er das sechste Ei ausgetrunken hatte, riss er die Schale auf und leckte sie aus. Er riss auch die übrigen fünf leeren Schalen auf und leckte sie aus, bis auf den letzten Rest klebriger Flüssigkeit. Ob er auch die Schalen essen konnte? Sie mussten doch nahrhaft sein. Aber dann zeigte sich, dass die Schalen der Schildkröte zäh wie Leder waren. Unmöglich sie zu zerkauen oder gar hinunterzuschlucken.
Er musste sich abwenden von den restlichen Eiern, durfte sie nicht mehr anschauen. Er stand auf und drehte sich um, nur um sie nicht mehr zu sehen. Hätte er sie noch länger angeschaut, dann hätte er sofort alle aufgegessen.
Er musste lernen den Hunger niederzukämpfen und zu beherrschen. Er würde jeden Tag nur ein einziges Ei essen …
Jeden Tag, bis die Retter kamen. Erst jetzt merkte Brian, dass er beinahe aufgehört hatte an die Männer zu denken, die ihn bestimmt schon lange suchten. Nie durfte er die Retter vergessen – damit sie ihn nicht vergaßen.
Er musste die Hoffnung behalten. Er durfte nicht aufgeben. Er musste sein Schicksal in der Hand behalten.
11
Aber es gab so viel zu tun.
Zuerst einmal galt es, die restlichen Eier in Sicherheit zu bringen; sie in die Höhle zu schaffen und dort, neben der Schlafstelle, wieder im Sand zu vergraben. Brian brauchte all seine Willenskraft, um nicht heißhungrig noch ein Ei zu essen. Und wer weiß – dann noch eines? Aber er schaffte es, und als er die Eier nicht mehr vor Augen hatte, war es leichter zu widerstehen. Als Nächstes wollte er neues Holz ins Feuer werfen und dann sein Lager aufräumen.
Lächerlich!, dachte er. Sein Lager aufräumen. Er brauchte nur seinen Anorak auszuschütteln und dann zum Trocknen in die Sonne zu hängen. Danach fegte er den Sand an seinem Schlafplatz glatt.
Aber er spürte, dass es eigentlich darum ging, finstere Gedanken zu vertreiben. Brian war deprimiert, wenn er daran dachte, dass die Retter ihn noch immer nicht gefunden
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