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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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hatten. Nur solange er sich mit den unmittelbaren Aufgaben des Überlebens beschäftigte, konnte er sich solche Gedanken vom Leib halten.
    Zum Glück gab es viel zu tun.
    Nachdem das Lager aufgeräumt war, ging er Holz holen. Er hatte beschlossen stets einen Vorrat für mindestens drei Tage griffbereit zu halten. Und nachdem er die erste Nacht mit seinem Freund – dem Feuer – hinter sich hatte, wusste er, wie unersättlich dieser neue Freund war. Er brauchte Brennholz in großen Mengen.
    Den ganzen Vormittag blieb Brian im Wald, hackte Holz, brach dürre Äste in kleine Stücke und schleppte alles ins Lager, wo er die Scheite zu einem großen Stapel vor der Felsklippe aufschichtete. Als er eine Pause machte und ans Ufer trat, um zu trinken, sah er sein Spiegelbild auf dem Wasser und entdeckte, dass die Beule an seiner Stirn beinahe verschwunden war. Sie schmerzte nicht mehr, als er sie mit den Fingern abtastete, und Brian nahm an, dass die Wunde von selbst geheilt war. Auch sein Bein tat nicht mehr weh und ließ sich normal bewegen – obwohl die geröteten Pusteln, dort, wo die Borsten des Stachelschweins seine Haut durchlöchert hatten, noch immer juckten. Aufatmend stand Brian am Wasser, betrachtete sein Spiegelbild und sah, dass sein Körper sich verändert hatte.
    Ein dicker Junge war er nie gewesen. Aber er liebte saftige Hamburger und knackige Fritten. Von sahnigen Milchshakes ganz zu schweigen. Kein Wunder also, dass sich über seinen Hüften ein kleiner Rettungsring zeigte – der jetzt verschwunden war.
    Brian war schlank geworden. Oder war er gewachsen? Sehnig und hager stand er da, den knurrenden Bauch eingezogen, und an den Armen spielten die Muskeln unter der sonnengebräunten Haut. Sein Gesicht war leicht rußig vom Rauch des Feuers und seine Augen strahlten. Vielleicht war es eher eine geistige Veränderung, die in ihm vorging; da war etwas Neues in der Art, wie er dort stand und schaute. Etwas, das noch im Werden begriffen war.
    Ich bin nicht mehr derselbe, dachte Brian. Ich sehe anders, ich höre anders. Er wusste nicht, wann diese Veränderung angefangen hatte, aber sie war deutlich spürbar. Wenn er jetzt ein Geräusch hörte, nahm er es nicht nur wahr, sondern wusste auch, was das Geräusch zu bedeuten hatte. Er sah und erkannte die Ursache, ob es ein knackender Zweig oder ein flüsternder Windstoß war. Eine neue Wachsamkeit hatte er gelernt, die sein Gefühl ansprach, lange bevor sein Verstand die Zusammenhänge erkannte.
    So wusste er manchmal, was ein Laut in der Wildnis bedeutete, noch bevor ihm klar wurde, dass er ihn überhaupt gehört hatte. Und wenn er etwas sah – einen Vogel, der im Gebüsch seine Flügel regte, oder Wellen auf dem Wasser –, dann sah er diese Dinge wirklich. Er bemerkte sie nicht nur beiläufig, aus dem Augenwinkel, wie er es in der Stadt zu tun gewöhnt war. Und er sah die Dinge in allen Einzelheiten, sah die Farbe der Federn, den Busch, die Form und die Färbung der Blätter. Er sah die Bewegung des Lichts auf den Wellen und erkannte, aus welcher Richtung der Wind wehen musste, um die Wellen so und nicht anders zu bewegen.
    All dies war Brian fremd gewesen. Aber jetzt war es ein Teil von ihm. Eine neue Bewusstheit war es, ein neues Erwachsensein, wobei Körper und Geist eine Einheit bildeten – eine Verbindung, die er noch nicht verstand. Wenn er jetzt ein Geräusch hörte, eine Bewegung sah, schien es, als ob sein Bewusstsein die Kontrolle über seinen Körper übernähme. Alle Reflexe wurden wach. Dann lauschte und schaute er und war bereit mit jeder Situation fertig zu werden.
    Und es gab so viel zu tun.
    Als er einen ausreichenden Vorrat an Brennholz aufgestapelt hatte, beschloss er, gleich ein Signalfeuer zu machen. Er kletterte auf die Felsklippe über seinem Lagerplatz und war froh, oben am Gipfel eine breite, flache Steinmulde vorzufinden.
    Noch mehr Holz!, stöhnte er. Rasch kletterte er hinunter und lief noch einmal zum Waldrand, zu den vom Sturm entwurzelten Bäumen, wo er genug tote Äste fand, die er zur Klippe schleppte, bis er einen ansehnlichen Scheiterhaufen aufrichten konnte. Anfangs hatte er sich vorgestellt jeden Tag ein Signalfeuer auf dem Felsen anzuzünden. Jetzt aber musste er einsehen, dass es unmöglich war. Niemals konnte er so viel Holz herbeischaffen, wie er gebraucht hätte. Darum beschloss er, noch während der Arbeit, den Holzstoß nur in Bereitschaft zu halten, bis er ein Flugzeug hörte – oder eines zu hören glaubte. Dann

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