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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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übermorgen. Das konnte eigentlich nicht sein. Jingzhou ist mit Wuhan über die Autobahn verbunden und nur zweihundert Kilometer entfernt. «Sind Sie sicher?», fragte ich die Frau am Schalter. – «Völlig sicher.» Weil anscheinend nichts zu machen war, verlangte ich ein Ticket für den übernächsten Tag. Die Schalterbeamte wollte dafür unglaubliche zweihundert Yuan. In dem Moment war mir klar, dass etwas nicht stimmte. Ich holte meine Südchina-Karte raus und zeigte, wohin ich wollte. «Ach, Jingzhou, Hubei», sagte die Frau. «Das ist kein Problem. Da gibt es jede halbe Stunde einen Bus.» Sie hatte mich nach Zhengzhou schicken wollen, der Hauptstadt der Provinz Henan, achthundert Kilometer nördlich von Wuhan und der 318. Zheng und Jing klingen auf Chinesisch sehr ähnlich, und wahrscheinlich hatte ich wieder mal einen Fehler bei der Tonhöhe gemacht. Warum können die Chinesen ihre Städte auch nicht Kopenhagen, Bottrop … okay, das hatten wir schon.

    Ursprünglich wollte ich auch gar nicht nach Jingzhou. Ich dachte, die Stadt würde nicht viel hergeben. Doch David Wilmots hatte im Brussels zu mir gesagt: «Da gibt es eine zweitausend Jahre alte Mumie. Die musst du dir unbedingt ansehen.» Nun mache ich mir nicht allzu viel aus Mumien. Ich habe im westchinesischen Xinjiang davon so viele gesehen wie im Internet nackte Weiber, und manche waren sogar viertausend Jahre alt. Die Mumien, nicht die Weiber. Doch David blieb dabei: «Schau sie dir an. Die ist anders als die anderen … äh, Mumien.» Da war ich dann doch gespannt.
    Jetzt muss ich schon die ganze Zeit an die Mumie denken. Was kann an der bloß so besonders sein? Trotzdem fühle ich mich ein bisschen so wie Jonathan Harker auf dem Weg zum Schloss von Graf Dracula. Dazu mag auch die Sonne beitragen. Sie scheint auch heute wieder nur als fahle Scheibe durch den dichten Dunst. So sehe ich sie zwar schon seit Shanghai, doch heute scheint sie mir noch etwas fahler zu sein. Die Landschaft hat allerdings wenig von den Karpaten. Es geht immer noch durch eine flache, von vielen Wasserläufen durchzogene Gegend, in der die Bauern mit ihren Hacken auf den Reis-und Maisfeldern arbeiten. Auch die Straße, über die der Bus fährt, ist kein Hohlweg, sondern wieder mal die Autobahn. Erst bei Kilometer 1145 geht es ab auf die 318. Das ärgert mich ein wenig, weil ich so den ersten vollen Tausender verpasst habe.
    Das Hotel neben dem Busbahnhof, in dem ich absteigen will, wirkt dann doch irgendwie karpatig. Die Lobby ist zur Straße hin offen, auf einem großen Sofa lümmeln drei männliche Strähnchenfrisuren-Teenager herum. Es sind offenbar die Verehrer der zwei Mädchen, die an der Rezeption stehen, die eine vielleicht fünfzehn, die andere siebzehn. Die ältere verlangt «hundertachtzig Kuai» für das Zimmer. Kuai gehört eigentlich zu den chinesischen Zählwörtern, die man vor jedes Substantiv setzen muss. Es heißt so viel wie Stück. Umgangssprachlich wird es aber auch für die größte chinesische Währungseinheit, den Yuan, benutzt. Ob aber Yuan oder Kuai, der Preis ist überteuert.
    Bevor ich etwas dazu sage, sehe ich mir das Zimmer an. Dafür muss ich mich durch einen Berg Schmutzwäsche kämpfen, die man in großen Bündeln die Treppe hinuntergeworfen hat. Das Zimmer selbst ist chinesischer Durchschnitt. Das heißt auch, dass im Bad die Dusche über dem Hockklo hängt. Eine bunte Kachel soll der Nasszelle etwas exotisches Flair verleihen. Sie zeigt ein verträumt dreinblickendes nacktes Mädchen mit einem Korb roter Rosen auf dem Schoß. Im Schlafzimmer steht ein Display aus Plastik, in dem ein Set «vor und nach Geschlechtsverkehr» steckt. Kleine Tütchen mit Lotionen, die das «international anti-virus ingredient DP 300» enthalten (vernichtet 99,9 % aller Mikroorganismen), Tücher in Tablettenform, die sich im Wasser entfalten, und natürlich eine Packung Kondome, angeblich produziert von der Firma «HB.M. USA Co. Inc., New York, USA». Auf der Frontseite ist eine Blondine am Strand zu sehen, zusammen mit einem Typen, der Dieter Bohlen ähnelt.
    Auch das ist keine Überraschung. Auf chinesischen Kondom-und Sexspielzeugpackungen sind immer nur Kaukasier abgebildet; als Halbbarbaren genießen wir auf sexuellem Gebiet einen ausgezeichneten Ruf. Eher ungewöhnlich ist dagegen die Aufmachung der Rückseite. Hier werden Pressestimmen zitiert, die angeblich anlässlich der Vorstellung des völlig neuartigen Kondoms in den USA erschienen sind: Der San

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