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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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wäre wohl passiert, wenn die Rote Armee und die Amerikaner tatsächlich ein Bündnis eingegangen wären? Gäbe es dann heute in China noch mehr McDonald’s? Das kann eigentlich nicht sein. Das Mindeste wäre wohl, dass die meisten Chinesen jetzt mehr Englisch als nur «hello» könnten. Ich bin allerdings nicht der Einzige, in dessen Birne es arbeitet. Mehreren Amerikanern aus der Gruppe steht die Verblüffung angesichts der ausgestellten Fotos ins Gesicht geschrieben, die den kommunistischen Teufel Mao im besten Einvernehmen mit amerikanischen Offizieren zeigen. Das haben sie nicht gewusst. Und selbst ich als alter Maoist hatte keinen Schimmer. Es gibt vieles, was man im Westen über China und die chinesische Geschichte nicht weiß. Und doch bilden sich etliche Leute ein, sie hätten auch in Chinafragen den großen Durchblick.

    Für die Abende in Chongqing hatte ich mir vorgenommen, herauszubekommen, was es mit dem berüchtigten Opiumfeuertopf auf sich hat. Schon im Zuge meiner Reisevorbereitungen war ich immer wieder auf Berichte gestoßen, die behaupteten, in Chongqing und Sichuan sei es üblich, den Feuertopfsuppen Opium beizumischen, um so die Kundschaft langfristig an sich zu binden. Sogar in ausgewählten Sichuan-Restaurants in Städten außerhalb der Provinz sei die Beigabe gang und gäbe. Allerdings liegen die letzten konkreten Fälle bereits einige Jahre zurück. So meldete die Bangkok Post am 5. Februar 1999, das Shanghaier Gesundheitsbüro habe bei einer Kontrolle von fünfundvierzig Hot-Pot-Restaurants in einem Viertel der Töpfe Spuren von Opium gefunden. «Die einfachen Leute», wird hier ein Herr Li zitiert, «wussten schon immer von dieser Praxis.»
    Ein großes Hindernis bei meiner Opium-Fahndung ist jedoch, dass ich noch von dem Besuch im Restaurant von Lehrer Charles traumatisiert bin. Zwar war in seinem Feuertopf garantiert kein Opium, denn sonst hätte ich wohl in der Nacht danach viel besser geschlafen. Doch wird mir jedes Mal flau, wenn ich nur an einem Feuertopfrestaurant vorbeigehe. Erst am vierten Abend gelingt es mir mit viel Willenskraft, ein Restaurant zu betreten. Prompt scheint sich das Drama von Fengdu zu wiederholen, denn ich kann schon wieder die Karte nicht lesen. Dieses Mal laden mich drei Jungs zu sich an den Tisch ein. Sie bieten mir an, einfach bei ihnen mitzuessen – gegen eine Beteiligung an den Kosten. Das klingt nach einem reellen Angebot. «Wir bestellen auch was ganz Besonderes», sagt einer der Jungs mit einem Grinsen. Aha, alles klar. Die Jungs sind Studenten, die aus Chongqing stammen, aber in anderen Städten studieren. Doch jetzt sind Semesterferien. Der Jüngste von ihnen heißt Victor, ist einundzwanzig und will Elektroingenieur werden. Weil er am besten Englisch kann, ist er es, der mich angesprochen hat. Levis ist fünfundzwanzig, hat eine Tolle, die ihm dauernd in die Augen fällt, studiert Jura und heißt nach der Jeans. «Und das ist Rentboy», stellt Victor den Dritten vor. «Er ist Künstler und der Älteste von uns.» – «Rentboy?», frage ich. Als Antwort rasselt der Angesprochene einen langen unverständlichen Sermon herunter. «Tut mir leid», sage ich, «aber ich habe kein Wort verstanden.» – «Rentboys Englisch ist nicht so gut», erklärt mir Victor. «Er hat gesagt: Choose life. Choose a job. Choose a career. Choose a fucking big television, choose washing machines, cars, compact disc players and electrical tin openers …» – «Genau», sagt Rentboy jetzt mit halbwegs verständlichem Akzent. «Aus welchem Film ist das?» Ich muss ein bisschen überlegen, bis es mir einfällt. «Das ist der Anfang von Trainspotting. Okay, ich hätte schon bei Rentboy draufkommen müssen.» Rentboy nickt und strahlt über das ganze Gesicht.
    Die drei gefallen mir, auch weil ich mich mit ihnen über Dinge unterhalten kann, die mich interessieren. Ich rede mit Rentboy und Victor über Filme und Musik, während Levis mit der Kellnerin flirtet. Rentboys Musikgeschmack ist ein ebenso bizarrer Mix wie sein Englisch; seine Lieblingsmusiker sind Usher, Aphex Twin und Pink Floyd. Er kennt allerdings nur «The Wall» und brüllt gleich «We don’t need no education. We don’t need no thought control» durchs Restaurant. Victor mag eher Klassik. Auch das ist durchaus ungewöhnlich, denn die meisten Chinesen in diesem Alter schauen nicht über den Tellerrand der chinesischen Popmusik hinaus. «Gibt es in Chongqing einen Ort, wo man gute Musik hören kann?», frage

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