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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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verkrüppelten Bäumen bestandenen Bergrücken landen. Jetzt aber breitet sich vor uns eine kilometerweite Wiese aus, von der aus man auf andere Bergwiesen schauen kann, die bis zum Horizont reichen wie ein Ozean. Die Wiese ist mit gelben, blauen und weißen Blumen übersät, und in kleinen Senken haben sich Teiche gebildet, in denen Yaks stehen und baden. Ganz am Ende ragen ein paar Mauern aus dem Grün, drum herum flattern zerzauste Gebetsfahnen. Und am Horizont nähern sich zwei tibetische Reiter, hinter denen ein kleines Fohlen trottet. Das hier ist der schönste Ort der ganzen Reise, keine Frage. Am meisten aber erschüttert mich der von dünnen Schleierwolken durchzogene blaue, unfassbar helle Himmel, und mir fällt ein, was Paul Theroux in seinem Buch «Riding the Iron Rooster» (auf Deutsch: «Das chinesische Abenteuer») über Tibets Himmel schrieb: «Ich hatte noch nie in meinem Leben solch ein Licht gesehen – der Himmel war wie ein glänzender See. Ich dachte: Wenn irgendwo stranden, dann nur hier.» Aber vielleicht ohne Bart, füge ich für mich hinzu …, der neben mir begeistert mit der Agenturzentrale in Chengdu telefoniert.

    Am letzten Tag in Westsichuan regnet es wieder. Das unglaubliche Licht ist futsch, sofort wirkt das ganze Land deprimierend auf mich und ein wenig angsteinflößend. Das Wetter hier auf dem Hochplateau ist das bisher seltsamste auf dieser Reise. Regen und Sonne wechseln sich im Tagesrhythmus ab. Aber besser hier zu sein als zum Beispiel in Chongqing, das sicher noch unter Wasser steht. Wo sind wir eigentlich genau? Bart hat mir gestern den Namen des Dorfes nicht gesagt, also frage ich ihn, als der Jeep gerade wieder auf die 318 einbiegt. Er liest mir den Wegweiser vor, der ins Tal zeigt. «Da steht: Kanba-Dorf der Kanba-Leute.» Sehr interessant. Das ist so, als würde sich in Bayern ein Dorf nur «Bayerisches Dorf der Bayern» nennen, denn Kanba heißt Khampa auf Chinesisch. Natürlich können die Dörfler schreiben, was sie wollen. Aber wenigstens Bart sollte den wirklichen Namen wissen. Doch mein exklusiver Reiseführer hat mal wieder keinen Schimmer.
    Langsam ärgert mich das doch, auch wenn ich ja vorher wusste, dass ich nichts von ihm erwarten darf. Aber wie kann man sich so wenig für eine Landschaft interessieren, wenn man hier mehrmals im Jahr durchfährt? Bart kennt weder die Namen der meisten Flüsse, noch weiß er, wie hoch die Berge sind, die uns umgeben oder die wir überqueren. Auch die tibetischen Namen von Städten und Dörfern sind ihm nicht geläufig, weil er kein einziges Wort Tibetisch spricht. Dabei hat Bart, wie ich auf der gestrigen Wanderung auch erfahren habe, vier Jahre lang als Aussteiger in Lhasa gelebt. Aber: «Für uns Chinesen ist es schwer, diese Sprache zu lernen. Sie ist so anders.» Und was soll für mich Chinesisch sein? Vielleicht ein deutscher Dialekt?
    Am meisten aber nervt, dass Bart knausert, und zwar mit meinem Geld. Das wird so richtig klar, als wir nach Litang kommen, der vorletzten Stadt vor der tibetischen Grenze. Sie liegt recht imposant auf einer über viertausend Meter hohen, langgestreckten Ebene. Wir erreichen die Stadt ausgerechnet einen Tag vor dem berühmten Pferdefestival, das seit über sechshundert Jahren einmal jährlich Anfang August stattfindet. Khampas aus allen Ecken des Landes kommen hierher, aber auch Touristen aus der ganzen Welt. Weil ich die Homepage von Barts Agentur gelesen habe, weiß ich, dass auf der Standardtour von Chengdu nach Lhasa normalerweise in Litang übernachtet wird. Doch während des Festivals sind Bart die Hotels zu teuer: «Eine Übernachtung übersteigt leider im Moment den Etat.»
    Immerhin darf ich mir das Festivalgelände ansehen, wo ein großes Lager aus weißen Zelten aufgebaut ist, zwischen denen Volkstanzgruppen die Generalprobe für die morgige Eröffnungsfeier abhalten. Es sieht aus wie die Vorbereitungen zu einem tibetischen Woodstock, doch Bart bleibt eisenhart. «Du hast zwanzig Minuten», sagt er, und ich jage bei eisigem Wind über den weiten Platz, um von alten Frauen mit Gebetsmühlen, Kindern mit roten Backen und jungen Damen in Kleidern mit zwei Meter langen Ärmeln die Standard-Tibetfotos zu machen, die man im Westen so gerne sieht.
    Nur beim Fahren können wir nicht hetzen, weil das die Straße nicht erlaubt. Nach Litang geht es den Haizi-Shan-Pass hinauf bis auf 4695 Meter Höhe. Das ist nur noch gut hundert Meter niedriger als der Mont Blanc und für mich, der ich es

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