Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
und ihrer Eltern viel besser als das der meisten hochbezahlten amerikanischen jüdischen Rabbis.
Indem sie Jesus und seine Jünger als Juden kenntlich machen, wollten die Organisatoren dem Passionsspiel die traditionell antisemitischen Untertöne austreiben. Und indem sie sich auf das Leben Jesu und nicht nur auf seinen Tod konzentrieren – ein hartes Stück Arbeit, insofern die Quellenlage bezüglich seines Lebens sehr begrenzt ist –, zeigen sie, daß sie ein jahrhundertealtes Unrecht zu korrigieren beabsichtigen, nämlich jenes, das auf die »jüdischen Folterknechte Christi« abzuheben pflegte und das den Festspielen in der Vergangenheit so viel Beifall von den Antisemiten dieser Welt einbrachte. Adolf Hitler, so heißt es in den Geschichtsbüchern, hat das Passionspiel in Oberammergau seinerzeit sehr genossen.
Aber der hier erzählten Geschichte fehlt es an Dramatik, und der Grund für die Erschaffung einer neuen Religion ist nicht zu verstehen. In dieser Version, die auf das jüdische Empfinden Rücksicht nimmt, wirkt die Geschichte mehr wie die eines Rabbis und seiner Anhänger als wie die der Entstehung einer neuen Religion.
Der erste Teil von etwas mehr als zweieinhalb Stunden Länge geht zu Ende. Wir, das heißt eine Menge von rund 5000 Menschen, haben jetzt drei Stunden Pause. Der zweite Teil, der den Tod Jesu bringen muß, könnte spannend werden. Wie politisch korrekt wird er ausfallen? Wie wird man vor allem die Juden und Pilatus darstellen? Dies ist immerhin eine der empfindlichsten Fragen in den historischen Beziehungen zwischen Christentum und Judentum. Wie widerwillig wird die Figur des Pilatus sein, wenn sie den Befehl gibt, Jesus zutöten? Wie sehr werden die Juden nach seinem Tod verlangen?
Teil zwei beginnt. Und in Teil zwei ist Schluß mit jeglicher politischer Korrektheit. Pilatus ist hier ein Getriebener, der vom Sanhedrin, dem Hohen Rat, und den Priestern gezwungen wird, Jesus zu töten. Er zürnt, er weigert sich, er schreit, er tut, was er nur kann. Die Juden aber sind cleverer, hinterhältiger und behalten die Oberhand. Der Laßt-uns-nett-zu-den-Juden-sein-Ansatz der Produktion geht völlig in die Binsen. Interessanterweise erscheint Pontius Pilatus hier viel weniger schuldig, als eine unvoreingenommene Lektüre des Neuen Testaments hergäbe.
Wie konnte das passieren? Wie konnte eine Produktion, die projüdisch angelegt war, antijüdisch enden? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das unauflöslich mit dem Neuen Testament verbunden. Immerhin war es der Apostel Paulus, der im ersten Brief an die Thessalonicher 2, 14-15, sagte, daß der Herr Jesus von »den Juden« getötet wurde. Das Problem besteht natürlichin der Neigung vieler Menschen, zu vergessen, daß auch die Frühchristen Juden waren, die miteinander diskutierten. Zugegeben: Diese Produktion versucht, die Jüdischkeit Jesu und seiner Jünger vor Augen zu führen. Gelingt es ihr aber auch? Ich setze mich mit Renate Frank zusammen, der Schwester des Spielleiters der Passionsspiele, Christian Stückl. Renate, die selbst mitgespielt hat, trägt langes Haar, das sie sich speziell für diese Aufführung wachsen ließ. Ich frage sie, ob Jesus Jude war.
»Ich glaube schon, sicher bin ich mir aber nicht.«
Wie meinen Sie das?
»Ich glaube, daß er in einer jüdischen Gegend aufwuchs, weiß aber nicht genau, was er für einer war.«
Steht irgendwo im Neuen Testament, daß Jesus Jude war?
»Ich bin mir nicht sicher. Ich habe es nicht so gründlich gelesen.«
Was Renate weiß, teilt sie mir mit: 4800 Plätze hat das »Passionstheater«, pro Saison finden 104 Aufführungen statt. Bis zu 800 Personen sind auf der Bühne, und insgesamt wirken 2000 Menschen an der Inszenierung mit. Die Stadt zählt 5000 Einwohner.
Und sie weiß auch dies:
»In Amerika hat alles irgendwie mit den Juden zu tun.«
Das Passionsspiel wird bis zum 3. Oktober aufgeführt. Was wird sie am 4. Oktober machen?
»Zum Friseur gehen! Am 3. Oktober werden wir alle weinen. Den ganzen Tag über. Alles, was man an diesem Tag macht, macht man zum letzten Mal. Beim letzten Halleluja werden alle Tore des Theaters geöffnet, und die ganze Gemeinde strömt herbei, um das letzte Halleluja mitzuerleben. Und man denkt sich: Was wird in zehn Jahren sein? Vielleicht werden meine Eltern die nächsten Festspiele nicht mehr erleben. Man sieht die alten Menschen und denkt: Sie werden beim nächsten Mal nicht mehr dabeisein. Und die jungen Leute, man sieht sie an und
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