Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
sowie die formale Qualifikation (also der Mutter) seien die Kennzeichen dieser sozialen Formation. Aber das ist mir zu technisch gedacht. Nach meiner Erfahrung sind es vielmehr zwei Phänomene, die sich in dieser Gruppe von Müttern finden: Da ist erstens der frappierende Umstand, dass diese Frauen ganz, ganz vieles besser wissen als die anderen – ich spreche da gerne von »Kompetenzüberschuss«. Der erstreckt sich zunächst einmal auf alle Belange des eigentlichen Mutter-Seins: Ernährung, Kleidung, frühkindliche Bildung (ganz wichtig), Homöopathie und Yoga, Kekse oder Kuchen. Sodann ist die spätgebärende Akademikerin aber auch deutlich bewanderter in allem, was darüber hinausgeht: Sie kann die Strukturprobleme des deutschen Bildungswesens benennen, hat langjährige Erfahrungen in Mediation und Coaching (ich sage nur »niederlagenlose Konfliktbewältigung«), ist mehrsprachig (hat vielleicht einige Zeit im Ausland gelebt), beherrscht den Konjunktiv I (und legt selbstverständlich Wert darauf, dass er richtig angewendet wird), hat politische Erfahrung auf Landesebene und ist nebenher noch als Referentin einer Wohnbaugenossenschaft begehrt.
Dieser Kompetenzüberschuss führt uns zum zweiten Merkmal der spätgebärenden Akademikerin: zur Angst. Spätgebärende Akademikerinnen verbreiten Angst. Jedenfalls bei Männern, die in ihrer Mehrzahl ja nicht nur mit dem Konjunktiv I erhebliche Probleme haben, sondern überhaupt mit starken Frauen. Das ist nicht gut – für die Frauen. In diesem Fall: für die spätgebärende Akademikerin. Sie wird nämlich im Umkehrschluss einfach als »schwierig« verunglimpft. Schwierig! Ha! Nur weil sie eben über die Grundlagen der Epidemiologie mehr weiß als der Kinderarzt, der gerade seiner »Arzt-im-Praktikum«-Zeit entschlüpft ist? Nur weil sie hinsichtlich der motivationalen Bedingungen des Lernens bei Schülern kompetenter ist als die Junglehrerin mit ihrer piepsigen Stimme? Nur weil sie aufgrund ihrer Orchester-Erfahrung in Sydney den richtigen Zeitpunkt zum Wechsel des eigenen Kindes von der Violine zur Bratsche früher entdeckt als der Herr Musikstudent, der sich als verkanntes Genie geriert? Was? Das nennen Sie schwierig? Was soll denn dann Ihrer Meinung nach einfach sein? Sich bücken?
Kompetenzüberschuss und Angst-Produktion sind es, die diese Frauen im Gepäck haben, und sie sind deshalb nicht zu beneiden. Alle meckern an ihnen herum, nur weil sie etwas schlauer und erfahrener sind als diese Jungmütter. Das ist nicht nur ungerecht, sondern lenkt zu allem Überfluss davon ab, dass es ja zu der spätgebärenden Akademikerin sogar noch eine Steigerung gibt. Das ist nämlich der Mann an ihrer Seite: der spätgebärende Akademiker. Er ist das eigentliche Urgestein dieser Familienkonstellation, weil hoch qualifizierte Frauen erstens ohnehin nur in der Beziehung mit einem hoch qualifizierten Mann leben können (weil Männer die Last ihres Minderwertigkeitsgefühls an der Seite einer klugen und erfolgreichen Frau nicht ertragen könnten) und weil zweitens die Männer in einer Beziehung meistens sowieso älter sind als die Frauen. Und wer meint, spätgebärende Akademikerinnen seien kompliziert (ich würde ja eher sagen: herausfordernd), der hat keinen näheren Umgang mit spätgebärenden Akademikern. Sie haben wie ihre Frau die Welt gesehen, aber im Gegensatz zu ihr können nur sie von sich behaupten – weil sie ja ein Mann sind –, dass sie im Prinzip auch alles wissen (okay, das mit dem Rotkehlchen kann mal passieren, aber wir wollen es ihnen nachsehen). Mit ihnen zieht wahre Klugheit und Weisheit in jeden Elternabend ein, nur sie können diese einzigartige Stimmung von weltläufiger Gelassenheit und jung gebliebener Neugier verbreiten. Der spätgebärende Akademiker kann zuhören, sagt dann und wann weich: »Ich verstehe« oder »Ich verstehe das gut«. Früher nahm er (weiche) Drogen, heute greift er zu Nahrungsergänzungsmitteln. Ich gebe zu, ich habe es auch schon getan. Beides. Und beides hat nicht geholfen. Wahre Entspannung, so weiß ich heute, kommt eben von innen. Daran sollten wir immer denken, wenn wir es mal wieder mit spätgebärenden Akademikerinnen zu tun haben.
Übrigens: In diesem Kapitel ist ein Konjunktiv I versteckt. Wer ihn findet, darf ihn ausschneiden, bunt ausmalen und beim nächsten Elternabend rumzeigen.
MÄNNER HABEN ES LEICHTER
Jetzt stellen Sie sich einmal folgende Szene vor: Ich erblicke beim Einkaufen in der Fußgängerzone zwischen
Weitere Kostenlose Bücher