Alleinerziehend mit Mann
also nicht mehr darüber auf, dass mein Mann mehr Zeit hat und jeden Tag in Ruhe die Zeitung liest, während ich vor der Arbeit noch schnell die Spülmaschine ausräume und mit Lukas bespreche, welchen Schulweg er nimmt, weil er heute zum ersten Mal alleine hingehen will. Ich rege mich nicht mehr übers Zeitunglesen auf, weil ich schlichtweg keine Zeit mehr zum Aufregen habe! Außerdem »versorgt« mein Mann mich inzwischen mit »wichtigen« Informationen aus unserer Tageszeitung, sprich: Er legt mir deutlich sichtbar Artikel hin, die für mich von Interesse sein könnten. Mein übergeordnetes Kenntnisdefizit sieht mein Mann in Gesundheits-, Ernährungs- und Erziehungsfragen, mit denen unsere Tageszeitung seit einer Weile ihre Seiten unter der Rubrik »Wissen« füllt. Er liest die Beiträge selbst meist nicht, da ich ja »viel stärker mit der Materie vertraut« sei, mir überhaupt »viel mehr kluge Gedanken zu dem Thema« machen würde und das doch »in meinen Bereich« fallen würde. Außerdem hege er persönlich schon immer und sowieso eine Leidenschaft für Außenpolitik.
Mein Mann hält nun in diesem Bereich so aufmerksam die Augen für mich offen wie früher im Sportteil, den ich noch nie gelesen habe, der aber bisweilen doch auch einen Bericht brachte, der meinen Beruf streifte. Der Sport-, Wirtschafts- oder allgemeine Teil unserer Zeitung scheint aber seit der Geburt meiner Kinder keinerlei Artikel mehr über meine beruflichen Belange zu veröffentlichen; zumindest legt diese Vermutung die Vorauswahl meines Mannes nahe.
Auch meine Mutter, meine Schwiegermutter, Tanten, Freundinnen und Bekannte versuchen, mich in all den Ernährungs-, Haushalts- und Familienbelangen up to date zu halten, und sammeln Berichte, Links oder manchmal ganze Reihen und Zeitschriften für mich.
»Hast du gesehen, da war neulich ein Artikel über die Auswirkungen von Partnerschaftsproblemen bei Kindern. Eine neue Studie hat gezeigt, wie sich das langfristig auswirkt. Ich hab ihn dir ausgeschnitten.«
»Du, in der Fernsehzeitschrift war eine Sonderseite über die sieben größten Irrtümer bei der Ernährung! Sehr interessant! Ich hab ihn dir aufgehoben, den musst du unbedingt lesen! Denk du auch dran beim nächsten Besuch, nichts ist wichtiger als eine gesunde Ernährung der Kinder, bei all dem Fast Food heutzutage!«
»Hast du schon gewusst, welche Giftstoffe in Kinderschuhen drin sind? Ich schick dir den Link zur Öko-Test-Seite. Musst du unbedingt reinschauen! Ganz liebe Grüße!«
Warum werden mir eigentlich keine hochgeistige Literatur, scharfen politischen Kommentare oder Börsenberichte mehr empfohlen? Zwar stiehlt mein Mann mir die Zeit zum Zeitunglesen, aber Hinweise auf aktuelle oder besondere Neuigkeiten hätte ich trotzdem gerne! Oder geht man automatisch davon aus, dass meine erste und einzige Erfüllung die Familienarbeit bei gleichzeitigem Abrutschen in die Debilität ist? Oder traut man einer Frau mit Abitur nicht zu, etwas von Ernährung, Pädagogik und Familienpsychologie zu verstehen? Was geht hier eigentlich ab? Und warum lese ich das dann eigentlich auch noch alles, womit man mich »versorgt«, mehr noch: Ich sauge es regelrecht in mich auf, um auf dem neuesten Stand in all diesen Bereichen zu sein. Warum nehme ich diese Angebote an und setze mich nicht vielmehr einmal an den Frühstückstisch, greife zum Wirtschaftsteil oder Feuilleton unserer Tageszeitung und fordere meinen Mann auf, doch den Wissensteil zu lesen, um sich in neuen Bereichen zu bilden, dabei die Spülmaschine auszuräumen und nebenbei einen Streit der Kinder zu schlichten?
Fragen dieser Art haben im Alltag einer berufstätigen Mutter wenig Chancen, zu Ende gedacht zu werden. Doch der Zufall ist blind und verirrt sich bisweilen auch zu unsereiner. So geschehen in einer Nacht, in der Eva mich mit Bauchweh weckt und ich nicht gleich wieder einschlafen kann. Es ist halb drei, alle schlafen wieder, nur ich wälze mich von einer Seite zur anderen im Bett und will meinem lieben Ehemann, der morgen ja wieder fit für seine Arbeit sein muss, nicht noch weitere Bewegungen mit Weckpotenzial zumuten. Also stehe ich auf, schmiere mir ein Brot mit der Frühstücksschokocreme der Kinder und koche mir einen Tee. Mein Blick fällt auf den Stapel Altpapier, der seit einigen Tagen der Entsorgung harrt. Meine müden Augen werden plötzlich magnetisch von einer Schlagzeile, die seitlich aus dem Stapel ragt, angezogen, und mit traumwandlerischer Sicherheit
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