Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
zu so jemandem kein Vertrauen würde haben können.
»Ich wollte warten, bis Sie offiziell von Karls Tod erfahren haben. Ich wusste ja nicht, ob Sie schon informiert worden sind. Und was genau man Ihnen gesagt hat. Als ich in Kundus ins Flugzeug gestiegen bin, herrschte ein unglaubliches Durcheinander. Niemand wusste etwas Genaues. Erst in Termes in Usbekistan, auf unserem Umschlagplatz, wo wir normalerweise ein, zwei Tage auf die nächste Transall nach Deutschland warten müssen, habe ich gehört, dass auch Karl unter den Toten sein soll. Aber das war nur ein Gerücht. Deshalb habe ich mir nicht angemaßt, Ihnen entgegenzutreten und zu sagen: Ihr Mann ist tot. Das sollten die machen, die es genauer wussten. Bitte, verzeihen Sie mir meine kleine Lüge, es war wirklich nicht böse gemeint.«
Das klang plausibel. Vielleicht tat Marie ihm Unrecht. Vielleicht waren Geistliche heute so wie dieser Gunter. Vielleicht wirkte seine etwas linkische und unsichere Art auf viele vertrauenserweckend.
»Verstehen Sie, ich wusste ja nicht, ob sie schon hier waren. Die aus Berlin. Deshalb wollte ich erst mal vorfühlen. Als ich dann bei Ihnen in der Küche saß, war mir schnell klar, dass Sie noch nichts wussten. Ich dachte, es ist besser, du ziehst dich zurück.« Er breitete die Arme aus; jetzt sah er wenigstens so aus, wie Marie sich einen Pfarrer vorstellte. »Vielleicht war ich auch nur feige …«
Das mochte so sein. Aber jetzt wollte Marie, dass er ging. Sie wollte allein sein mit Karls Botschaft. Das schien Gunter zu verstehen. Er reichte ihr ein letztes Mal die Hand und zwängte sich durch die halboffene Tür.
Marie blieb noch kurz auf der Schwelle stehen und winkte ihm etwas verschämt hinterher.
Dann schlug sie die Tür zu und atmete auf.
Marie startete den Computer. Nachdem sie Karls Passwort – Meerjungfrau, natürlich – eingegeben hatte, legte sie die CD in das Laufwerk ein. Sie wartete.
Hoffentlich konnte der Computer die Botschaft Karls ohne Weiteres abspielen. Auf keinen Fall wollte sie Felix, der sich damit besser auskannte, um Hilfe bitten müssen. Erst musste sie alleine hören, was Karl ihr mitzuteilen hatte.
Es dauerte. Marie biss sich auf den Daumennagel. Wenn sie es nicht hinbekam, konnte sie noch Karls Freund Egon bitten. Der wohnte zwar auch in Koserow, aber er war ein sehr unzugänglicher Mensch und es würde schwer werden, ihn an den Computer zu bekommen.
Nichts.
Jetzt bereute Marie wieder einmal, dass sie sich so wenig mit der Computerei beschäftigt hatte. Karl hatte sie immer wieder dazu aufgefordert und ihr vor Augen zu führen versucht, wie wichtig es heutzutage war, einen Rechner bedienen zu können. Aber es hatte sie einfach zu wenig interessiert. Ihre Gutachten schrieb sie mit einem primitiven Schreibprogramm und verschickte die Dateien als Anhang von E-Mails. Die in den Verlagen kamen schon damit klar.
Marie klickte auf den Explorer. So viel wusste selbst sie: Das war eine Art Inhaltsverzeichnis.
Eine ganze Liste von Laufwerken erschien. Marie ging sie nacheinander durch. Laufwerk D zeigte an: Karl Blau . Das musste die CD sein. Sie klickte das Laufwerk an.
Wieder ließ der Computer sie warten.
Marie wurde nervös. Sie bewegte die Maus auf dem Pad hin und her.
Ein Fenster öffnete sich. Marie wurde danach gefragt, mit welchem Programm sie die Datei auf der CD öffnen wollte. Marie wählte das erste Windows-Programm aus der Liste. Der Monitor flimmerte. Dann öffnete sich ein Programm, das Marie kannte. Sie wusste, dass man damit Filme abspielen konnte.
Der Computer lud die Datei auf der CD, das dauerte.
Dann flimmerte der Bildschirm. Eine Schrift erschien. Von Karl für Marie.
Marie führte die Maus auf das Stopp-Symbol und klickte es an. Das Flimmern hörte auf. Die Schrift wurde krakelig, aber das Bild stand.
Marie lehnte sich zurück.
Das, was jetzt kam, waren Karls letzte Worte an sie – auch wenn er nicht geahnt hatte, dass er wenig später sterben würde. Marie wusste nicht, wie sie auf sie wirken würden. Aber sie musste auf alles gefasst sein.
Sie ging in die Küche und trank ein Glas Wasser aus der Leitung. Dann kehrte sie an den Computer zurück und klickte auf Play.
Karl saß vor einer grauen Wand. Die Innenseite eines der Bundeswehrcontainer, in denen sie in Kundus wohnten. Das Bild war sehr hell, starke Scheinwerfer blendeten Karl. Er kniff die Augen zusammen. Vor ihm stand ein rundes, weißes Plastiktischchen mit einem Wasserglas. In dem Wasserglas
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