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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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gibt da einen Psychologen, der sich um die Angehörigen von Kriegsopfern kümmert.«
    Mit dem Staatssekretär Seelmann hätte sie telefonieren können. Marie war sich sicher, dass sie von dem nichts erfahren würde. Sie hatte eine ganz andere Idee: Dieser Ernesto hatte ihr doch erzählt, dass man ihn nach jedem Anschlag hinzugezogen hatte. Marie schien der Mann trotz seines eigenartigen Verhaltens vertrauenswürdig. Mit ihm würde sie über alles sprechen können, und er würde ihr vielleicht auch einen Weg zeigen. Einen Weg zu jemandem, der Karl half.
    Vielleicht konnte sie Ernesto dazu überreden, sich mit Karl in Verbindung zu setzen. Karl war sicher nicht der erste Soldat, dem Kundus zu viel wurde und der deshalb durchdrehte. Ernesto würde vielleicht auch wissen, wie man vorgehen musste, um Karl aus Afghanistan rauszuholen. Aber das, was sie mit dem Psychologen zu besprechen hatte, konnte sie nicht am Telefon besprechen. Sie musste also nach Berlin. Jetzt, wo Pia da war und sich um Felix kümmern konnte, würde das doch gehen, oder?
    »Ich bringe Felix zur Schule und hole ihn auch wieder ab«, sagte sie. »Ich sorge dafür, dass er abends rechtzeitig ins Bett kommt, falls es bei dir länger dauert. Da fällt mir ein: Du kannst übrigens meinen Wagen nehmen.«
    Das konnte Marie nicht – sie hatte keine Fahrerlaubnis. Sie würde mit dem Zug fahren. Und sie konnte das beruhigt tun, denn Felix war in den besten Händen.
    Felix war von dem Plan der beiden Frauen begeistert. Er küsste seine Mutter zum Abschied und ließ sich dann von Pia mit dem Wagen zur Schule fahren.
     
    Marie hatte nur ihre Umhängetasche dabei. Sie ging zu Fuß zur Bushaltestelle. Nach knapp fünf Minuten kam der Bus. Er war bis auf einen schlafenden Mann leer. Marie stieg ein, kaufte eine Fahrkarte bis Anklam und setzte sich auf die letzte Bank. Das hatte sie schon als Kind immer getan, wenn sie mit dem Bus fuhr.
    Der Bus fuhr die Küste entlang. Nach Süden. Über Bansin, Heringsdorf, Ahlbeck.
    Marie sah die trägen Feriengäste zu den Promenaden ziehen. Die Saison war vorbei. Jetzt blieben nur noch die Unentwegten. Marie fand, dass Koserow im Vergleich mit den großen Bädern noch erträglich war. Dort gab es wenigstens ein dörfliches Leben. Hier bestimmte der Bäderbetrieb den Alltag. Es gab kaum Menschen, die arbeiteten. Die meisten dösten nur oder waren auf der Suche nach etwas Ablenkung. Eigentlich gehörte kaum jemand richtig hierher. Das spürte man deutlich. Das Leben verlief so ziellos, wie auf halber Flamme. Für jemanden, der sich nicht im Urlaub befand, war das nicht gut. Er verlor leicht den Antrieb, passte sich den Badegästen an, lebte nur noch vor sich hin.
    Marie wollte nicht, dass Felix hier großwurde. Sie würde weggehen. Sobald Karl zurück war aus Afghanistan, würde sie ihn vor die Alternative stellen: Entweder verließen sie Usedom oder sie ließ sich scheiden.
    Marie erschrak. Was waren das für Gedanken? Karl schwebte in Lebensgefahr. Es war unklar, ob sie sich jemals wiedersehen würden. Und sie dachte über die Scheidung nach.
     
    Marie hatte es so eingerichtet, dass sie in Anklam gleich in den Regionalexpress steigen konnte. So gondelte sie in einem Doppelstockzug durch Vorpommern und die Uckermark. Sie hatte oben einen Fensterplatz ergattert und schaute über immer noch saftige Felder. An abgeernteten Äckern vorbei, auf denen endlose Reihen mit Strünken von Maispflanzen übrig geblieben waren, ging es in Richtung Berlin. Marie blickte über silbergraue Seen, die so ruhig und glatt dalagen, als wäre schon vor Jahrmillionen die Zeit stehen geblieben.
    Je näher sie der Hauptstadt kam, desto unruhiger wurde sie.
    Berlin. Sie genoss es, ohne Felix in die Stadt zu fahren. Das hatte sie seit Jahren nicht mehr getan. Plötzlich war es, als würde sie alles hinter sich lassen. Koserow. Ihr Haus. Den Jungen. Karl. Alles. Sie fühlte sich wieder jung. Es war, als fahre sie nach Berlin, um eine neue Stelle anzutreten oder um eine Wohnung zu besichtigen, in die sie demnächst einziehen würde.
    Doch dann, als sie die Stadtgrenze erreichte und die anfänglich noch lichten Quartiere dunkler wurden, war ihr plötzlich elend zumute. Sie sah auf die von widerborstigen Sträuchern und kleinen Bäumen überwucherten Seitengleise der S-Bahn. Sie sah die verfallenen Backsteinreste ehemaliger Betriebsgebäude, sah überall die schreienden Graffiti, die nur Unheil und Gewalt verhießen. Und Marie fragte sich, was sie eigentlich

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