Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Leute, die unangemeldet kamen.
Der Soldat an der ersten Schleuse dachte nicht einmal daran, sich auf ein Gespräch mit Marie einzulassen. Als er feststellte, dass sie keinen Termin hatte, dass sie also nicht erwartet wurde, bat er sie zu gehen.
»Aber ich muss dringend zum Staatssekretär. Zum Herrn Seelmann. Den kennen Sie doch, oder?«
Der junge Soldat – er war tadellos gekleidet, weißes Hemd und blaue Krawatte, aber irgendetwas an ihm war roh und ungehobelt – schaute Marie nicht an. Er blickte an ihr vorbei. Marie dachte: Er will mir damit zeigen, dass ich Luft für ihn bin.
»Natürlich kenne ich den. Aber Sie haben keine Einladung zum Gespräch. Folglich …«
Marie unterbrach ihn unwillig. »Warum rufen Sie nicht einfach an und sagen, dass ich da bin? Dann werden Sie schon sehen …«
Jetzt glaubt er sicher, ich wäre Seelmanns Geliebte, dachte Marie. Aber das war ihr auch egal. Dieser junge Schnösel war einfach dreist.
»Das darf ich nicht!«
»Was dürfen Sie nicht?«
»Einfach anrufen.«
»Ach was. Und wenn es um etwas Wichtiges geht?«
»Dann hätten Sie einen Termin.«
Unglaublich. Wie kamen sie dazu, solche Holzköpfe an den Empfang zu stellen?
Ein uniformierter Herr in mittleren Jahren stolzierte vorbei. Mit Aktenmappe und einem Stoß Zeitungen. Der Wachposten salutierte.
Sieh mal an, dachte Marie, wenn Vorgesetzte in der Nähe sind, ist er übereifrig. Aber an einer Zivilistin lässt er seine Launen aus.
»Übernehmen Sie die Verantwortung?«, fragte sie.
Er stutzte. »Wofür?«
»Dafür, dass ein wichtiges Gespräch nicht stattfindet, weil Sie auf stur stellen …«
»Ich schalte nicht auf stur, ich halte mich nur an die Befehle.«
Das genügte. Das war genau der Geist, den Marie immer gehasst hatte. Dabei hatte Karl sie fast schon davon überzeugt, dass es so etwas in der modernen Bundeswehr nicht mehr gab.
»Wissen Sie, wer ich bin?«
Der Posten zuckte nur verächtlich mit den Achseln.
Er hält mich nicht einmal für die Geliebte des Staatssekretärs, dachte Marie. Der gegenüber würde er sich so ein Verhalten nicht erlauben. Was sie aber noch wütender machte: Der Soldat schien Gefallen daran zu finden, Marie zappeln zu lassen. Er leistete sich sogar ein schwaches Grinsen.
»Mein Name ist Marie Blau. Ich bin die Frau von Karl Blau. Karl Blau ist – falls Sie das schon vergessen haben sollten – einer der fünf Kameraden von Ihnen, die in Kundus bei einem Anschlag der Taliban ums Leben gekommen sind.«
Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Dann aber schloss er die Lippen. So fest, als sei es für immer. Seine Augenlider begannen leicht zu zittern.
»Wie sollte ich wissen, dass Sie das sind?« Er sagte diesen Satz sehr leise, fast flüsterte er ihn.
»Mein Mann ist ein Kamerad von Ihnen gewesen. Sie hätten auch an seiner Stelle fallen können …«
Marie wusste selbst, dass sie nicht fair war. Aber das störte sie nicht. Sie wollte, dass dieser Schnösel in Uniform sie passieren ließ. Sonst nichts.
Er verschwand hinter einer Wand. Marie hörte ihn leise telefonieren.
Dann schwieg er lange und schien dem anderen zuzuhören. Bevor er auflegte, schnaubte er kurz: »Jawoll!«
Er brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. Dann trat er hinter der Wand hervor. Marie schien es fast, als sei er während der letzten Minuten um Jahre gealtert.
»Frau Blau, der Adjutant lässt Ihnen sagen, dass es im Moment leider etwas ungünstig ist. Wenn Sie vielleicht morgen gegen 15 Uhr wiederkommen können? Dann hätte der Herr Staatssekretär etwas mehr Zeit für Sie.«
»Ich bin heute in Berlin und nicht morgen. Und wenn ich nicht sofort zu dem Herrn Staatssekretär vorgelassen werde, gehe ich und rede mit Frau Glassmaier von Spiegel-TV.«
Marie bezweifelte, dass er Frau Glassmaier kannte. Aber das war jetzt auch nicht wichtig.
Auf jeden Fall sah der Wachposten sich veranlasst, wieder hinter der Wand zu verschwinden und erneut zu telefonieren. Sein Murmeln klang wie ein nicht richtig abgedrehter Wasserhahn.
Diesmal kam er schneller wieder zum Vorschein.
»Es wird jemand kommen, Frau Blau. Wenn Sie so lange in unserer Sitzgruppe Platz nehmen wollen?«
Es dauerte. Marie wollte sich schon bei dem Wachposten beschweren – da hörte sie Schritte durch die langen Flure des Bendlerblocks hallen.
Sie waren zu zweit. Zwei schmale, junge Adjutanten, in weißen, kurzärmeligen Hemden, grauen Uniformhosen und schwarzen Krawatten. Einer von ihnen tuschelte mit dem
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