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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Universität. Keine Presse, keine Würdenträger, nur ein Grüppchen Leute in Einweg-Schutzanzügen: Phil, Ruth, Chris Stephenson, Lord Smith und, zu Ruths Erstaunen und Unbehagen, Nelson. Erstaunt ist sie auch, dass es Cathbad nicht gelungen ist, sich einzuschmuggeln; immerhin arbeitet er doch bei den Naturwissenschaftlern. Doch Cathbad ist nach wie vor nicht erreichbar. Ted war zwar eingeladen, als Repräsentant des feldarchäologischen Teams, das den Sarg gefunden hat, doch er hat abgesagt. Er hat ausrichten lassen, er fürchte sich vor dem Fluch.
    Trotz der tristen Umgebung liegt eine deutliche Spannung in der Luft. Der Sarg, aufgebockt auf zwei Tapeziertischen, wirkt nämlich weder steril noch wissenschaftlich – fast sogar ein wenig bedrohlich, ein dräuendes, düsteres Etwas inmitten der weißen Kacheln. Neben dem Sarg steht ein mit einem weißen Laken bedeckter Tisch, der für das Skelett des Bischofs gedacht ist. Mehr als alles andere ruft dieses Detail Ruth in Erinnerung, dass sich in der Holzkiste da ein Mensch befindet, ein direkter Vorfahr jenes hochgewachsenen, grauhaarigen Mannes, der gerade mit Nelson über Pferderennen plaudert. Wer hätte gedacht, dass Nelson sich für Pferde interessiert? Ruth und Nelson haben noch kein Wort gewechselt.
    Die Tür geht auf, und ein Techniker bringt Hammer und Meißel herein. Diese Werkzeuge und dazu die Tapeziertische sehen eigentlich viel zu sehr nach Baumarkt aus, um dem Anlass zu entsprechen, doch Ruth weiß, dass es schwierig werden könnte, den Sargdeckel zu entfernen. Er ist mit einer ganzen Menge Nägel bestückt.
    «Sollen wir anfangen?», fragt Phil nervös. Der Techniker zückt eine Kamera: Er wird den ganzen Vorgang auf Video festhalten. Ruth kann nur hoffen, dass sie dann nicht auf YouTube landen.
    «Woraus besteht der Sarg?», will Lord Smith wissen.
    «Eiche», sagt Ruth. «Sehr gute Holzqualität. Manche Särge aus der Zeit sind aus kleineren, aneinandergenagelten Holzstücken, aber dieser hier wurde aus stabilen, großen Stücken gezimmert. Und oben ist er abgeflacht, sehen Sie? Auch das ist ungewöhnlich, ebenso wie die konisch zulaufende Form. Die setzte sich erst im Mittelalter allmählich als Sargform durch. Frühere Särge waren einfach nur rechteckig.»
    «Sie kennen sich wirklich aus», sagt Smith anerkennend. Und Ruth, die die letzten Tage damit verbracht hat, sich in mittelalterliche Bestattungspraktiken einzulesen, gibt sich Mühe, ihren Stolz nicht zu zeigen.
    «Ist da noch ein weiterer Sarg drin?», fragt Chris Stephenson.
    «Nein. Wir haben den Sarg durchleuchtet, und es ist nichts weiter darin als ein Skelett, in eine Art Stoff oder Tuch gewickelt. Manche Toten aus dieser Zeit wurden in Innensärgen aus Blei bestattet, aber das blieb relativ selten. In St. Bees, in Cumbria, wurde auf dem Gelände einer alten Abtei einmal ein Toter gefunden, in dessen Sarg sich ein weiterer Sarg fand und darin noch ein weiterer, wie bei einer Babuschka-Puppe. Aber das kam wie gesagt selten vor. Blei war ja auch sehr teuer.»
    «Aber er war doch Bischof!», ereifert sich Smith, den offenbar allein die Andeutung kränkt, sein Vorfahr habe sich nicht das Beste vom Besten leisten können.
    «Vielleicht hat er sein ganzes Geld ja den Armen gespendet», sagt Ruth. Nach allem, was sie über mittelalterliche Bischöfe weiß, ist das zwar unwahrscheinlich, doch immerhin bringt es Danforth Smith vorläufig zum Schweigen.
    Phil macht sich ziemlich zaghaft (er ist nicht gerade für seine handwerklichen Fähigkeiten berühmt) daran, die Nägel zu entfernen, die kaum Widerstand leisten. Viel zu wenig Widerstand, sinniert Ruth, behält den Gedanken aber für sich. Die dicken, stark verrosteten schwarzen Eisennägel werden zur späteren Begutachtung beiseitegelegt. Die Spannung steigt, alle treten näher an den Sarg heran. Und dann, gerade als Phil den letzten Nagel entfernt hat, klingelt Ruths Handy.
    Sie flucht innerlich. Eigentlich wollte sie das Ding doch ausschalten. Fast tut sie das noch, doch dann sieht sie, dass der Anrufer Cathbad ist. Sie entfernt sich ein paar Schritte von der Gruppe und zischt: «Cathbad? Ich kann jetzt nicht reden.»
    Cathbad klingt belustigt. «Bist du gerade bei der großen Enthüllung?»
    «Ja. Wieso bist du nicht hier?»
    «Ich bin nicht eingeladen.»
    Als ob dich das je von etwas abhalten würde, denkt Ruth.
    Laut sagt sie: «Können wir später reden?»
    «Klar. Ich komme so gegen sechs bei dir vorbei.»
    Das ist nicht ganz das, was

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