Aller Heiligen Fluch
seit sie ihn kennt, ist ihm das Lächeln komplett vergangen.
«Skalpiert», wiederholt Cathbad. «Warum macht man denn so was?»
«Trophäen», knurrt Bob. Seine Miene ist düster, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Er wirkt mit einem Mal richtig furchteinflößend. «Er wurde nicht als Mitmensch betrachtet, sondern als Jagdtrophäe. So wie ein Hirschgeweih an der Wand!»
Ruth muss an das nachgebaute viktorianische Studierzimmer im Museum denken: die Wachsfigur am Schreibtisch, das Hirschgeweih an der Wand. Sie fragt sich, ob Danforth Smiths alter Familiensitz wohl voll mit solchen Objekten war. Aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus sagt sie: «Aber das war ja nicht Smith selber. Es war sein Urgroßvater. Das ist lange her. Die damalige Haltung …»
«… war nicht anders als die heutige», fällt ihr Bob ins Wort. «Für einen Mann wie Danforth Smith sind Schwarze keine Menschen. Er verehrt seine eigenen Vorfahren, aber unsere bedeuten ihm nichts. Wir sind Tiere. Wir stehen noch unter den Tieren. Ich habe gehört, seine Pferde sind ihm heilig. Wir sind ihm weniger wichtig als seine Pferde.»
«Ich habe ja versucht, ihm ins Gewissen zu reden.» Es ist Ruth unangenehm, einen solchen Ausbruch verursacht zu haben. «Ich habe ihm gesagt, dass Ihre Vorfahren genauso viel wert sind wie seine. Wie beispielsweise Bischof Augustine. Sie wissen schon, der mittelalterliche Bischof, dessen Sarg wir heute geöffnet haben.» Sie sieht zu Cathbad hinüber und ermahnt ihn stumm, nichts weiter zu sagen.
Cathbad lächelt und beschränkt sich darauf, etwas von der «Heiligen Mutter Kirche» zu murmeln. Die Nachricht von der Skalpierung erschüttert ihn sichtlich weniger als Bob. Wenn sie Cathbad so ansieht, kann Ruth sich kaum vorstellen, dass er einen so gewaltigen Zorn auf das Museum entwickeln kann, weil es die Schädel nicht zurückgibt, dass er Neil Topham Briefe schreibt und ihm mit dem Tod droht. Irgendwer hat das allerdings getan.
«Es geht um Besitzansprüche», fährt sie fort. «Smith findet, die Knochen gehören ihm, weil sein Urgroßvater sie mitgebracht hat. Da lässt er nicht mit sich reden.»
«Typisch britisches Oberschichtsgehabe.» Cathbad lächelt immer noch. «Du solltest mit dem Knochen auf ihn zeigen, Bob.»
«Mit dem Knochen auf ihn zeigen?», fragt Ruth. «Was soll denn das heißen?»
«Das ist ein Aborigine-Fluch», sagt Bob mit einem Seitenblick auf Cathbad. «Er bringt den sicheren Tod.»
«Das glauben Sie jetzt aber nicht im Ernst?»
Bob zuckt die Achseln. «Es gibt genügend Leute, die es glauben. Wissen Sie, es kommt immer wieder vor, dass Touristen Steine aus australischen Nationalparks mitnehmen. Wochen oder Monate später schicken sie die Steine dann oft zurück und schreiben, sie hätten nur Pech gehabt, seit sie sie mitgenommen haben. Sobald die Steine wieder auf heimischem Boden sind, ist der Fluch aufgehoben. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, wie viel schlimmer es ist, die Knochen unserer Ahnen mitzunehmen und sie am anderen Ende der Welt zu verwahren. Man kann sich keinen böseren Zauber denken.»
«Na, vielleicht ändert Danforth Smith seine Meinung ja noch», sagt Ruth. «Er kann die Gebeine schließlich nicht ausstellen. Was hat er davon, sie im Keller einzuschließen?»
«Täuschen Sie sich da mal nicht, Ruth», meint Bob. «Sie müssen unbedingt zu der Tagung am Wochenende kommen. Wir können Ihnen Geschichten von ganzen Stämmen erzählen, die ausgelöscht wurden. Von viktorianischen Abenteurern, die die Aborigines gejagt haben wie Tiere. Echte Gentlemen, so wie Lord Danforth Smith.»
«Das ist unglaublich», sagt Ruth. «Ich hatte ja keine Ahnung.»
«Ich kannte mal einen Weißen, der hatte den Schädel eines Aborigine auf seinem Kaminsims. Er hat richtig damit geprahlt. An Weihnachten setzte er ihm eine Nikolausmütze auf. So ein netter alter Abo-Kopf, damit die Kinder was zum Lachen haben.»
«Was ist aus ihm geworden?», fragt Cathbad.
«Er ist inzwischen tot», sagt Bob. «Die Macht der Ahnen ist groß.»
Ruth läuft es tatsächlich kalt den Rücken hinunter. Einen Moment lang bedauert sie, den Kellerraum im Smith-Museum mit den Kisten voller Knochen überhaupt zu Gesicht bekommen zu haben. Hat sie die Ahnen auch wirklich respektvoll genug behandelt? Sind sie womöglich als Nächstes hinter ihr her? Ein Glück, dass Penne mit Pesto keine Knochen enthält. Sie will etwas sagen, egal, was, um die Stimmung wieder aufzuhellen, doch da sorgt Kate für Ablenkung. Sie
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