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Allerliebste Schwester

Titel: Allerliebste Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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Marlene nicht wecken wollte. Ja, es sei ein lustiger Abend gewesen,
jetzt komme er gleich nach Hause, er wolle mit Eva nur noch einen schnellen Kaffee trinken. Ja, er liebe sie auch und bis gleich, dicken Kuss.
    Tobias springt auf, sammelt seine Sachen zusammen und rennt ins Bad. Fünf Minuten später kehrt er geduscht und angezogen zurück, Eva ist mittlerweile in Jeans und T-Shirt geschlüpft, wird ins Bad gehen, wenn er fort ist. Ein schneller, schuldiger Abschied, ein flüchtiger Kuss auf die Wange, als wäre gar nichts gewesen. Und so soll es auch sein. Als wäre nichts gewesen.
     
    Mittlerweile ist die CD zu Ende, das Wasser in der Wanne nur noch lauwarm. Eva wäscht sich schnell die Haare, dann steht sie auf, greift nach dem Handtuch, wickelt es sich um und steigt auf den Badezimmerteppich. Sie trocknet sich ab, stellt sich dann erneut vor den Spiegel.
    Wartet darauf, dass Marlene sich wieder zeigt, weil sie ihre Schwester fragen möchte, ob sie das gewusst hat. Ob sie geahnt hat, was in der Nacht nach Evas Premiere passierte, ob sie es vielleicht später irgendwie herausgefunden hat. Und was mit den vielen anderen Malen ist, die sie danach noch mit Tobias geschlafen hat, weil die Grenze ohnehin schon überschritten war.
    Nein, denkt sie, niemand hat das gewusst, niemand, auch nicht Marlene, das kann einfach nicht sein. Da war sich auch Tobias immer ganz sicher. Damals, direkt nach ihrem Tod, haben sie ein einziges Mal darüber gesprochen. Haben sich geschworen, dass keiner davon erfahren wird, nicht die Eltern, nicht der Freundes- und
Bekanntenkreis, erst recht nicht die Polizei, es hätte ja ohnehin nichts mehr geändert. Für alle Außenstehenden fing die Geschichte zwischen Eva und Tobias also erst danach an, sehr rasant zwar, aber erst danach, später. Das Geheimnis, diese Komplizenschaft, schweißte sie zusammen, mit der Zeit konnte Eva sogar fast vergessen, was sie getan hatten, packte die Erinnerung daran weit weg, an einen fernen Ort, dorthin, wo sie auch die Musik und ihr früheres Leben verwahrte.
    Ein letztes Mal ruft Eva nach Marlene, aber als sie nicht mehr kommt, geht sie ins Schlafzimmer und zieht sich an. Während sie die Haken ihres BHs schließt, muss sie leise kichern. Es kommt ihr verrückt vor, dass sie so gern mit Tobias schlief, als sie es noch nicht durfte. Da hat Marlene wohl recht, früher hat sie nie die Dinge getan, die sie musste, sondern lieber die, die ihr verboten waren.
    Nachdem sie sich geföhnt und geschminkt hat, holt sie ihr Handy, schaltet es wieder ein. Ein paar Sekunden sucht das Telefon nach Empfang, dann vibriert es und gibt ein kurzes, metallisches Klingeln von sich.
    Samstagnachmittag um zwei vor der Alten Post in der Schlüterstraße. Kommst du? Simon.

8
    Er ist doch nicht so klein, wie sie ihn bei der ersten Begegnung wahrgenommen hat. Als Eva um kurz nach zwei die Alte Post in der Schlüterstraße erreicht, sieht sie ihn schon vor dem imposanten Backsteingebäude aus der Zeit der Jahrhundertwende auf und ab gehen. Er wirkt nervös und unruhig, vielleicht ist es aber auch nur, weil ihm kalt ist. Wenigstens aus der Entfernung wirkt er, als wäre er doch mindestens 1,80 Meter groß. Und wieder trägt er den Colani.
    Gedankenverloren greift Eva nach ihrer rechten Hand, will an ihrem Ehering spielen. Aber da ist nichts. Sie hat ihn abgezogen und in ihr Portemonnaie gesteckt, bevor sie mit ihrem Mini losgefahren ist. Tatsächlich gefällt ihr jetzt der Gedanke, etwas Verbotenes zu inszenieren. Und zu dieser Inszenierung gehört das Abstreifen des Eherings. Eva blickt auf ihre Hand. Dort, wo sonst der Trauring sitzt, ist die Haut nicht blasser, keine Druckstelle verrät die Fessel, die sie seit Jahren rund um die Uhr trägt. Auch das wäre eine Tätowierung, ein Mal, das sich nicht verbergen ließe.

    Gabriele hat sie erzählt, sie wolle Büromaterial besorgen und noch ein paar andere Dinge erledigen. Sie weiß, dass sie ihrer Chefin vermutlich die Wahrheit hätte sagen können. Aber sie wollte es nicht. Das hier ist ihr Geheimnis, geht nur sie etwas an. Ihr Handy hat sie ausgeschaltet, sie will nicht riskieren, dass Tobias sie anruft. Obwohl sie sich in den vergangenen Wochen sehr zusammengerissen hat, neigt er immer noch dazu, sie hin und wieder zu kontrollieren.
    Jetzt hebt Simon den Kopf und erkennt sie. Ein kurzes Winken, nicht zaghaft, aber auch nicht überschwänglich.
    »Da bin ich«, sagt Eva, als sie wenige Augenblicke später vor ihm steht.
    »Ja.« Er

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