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Allerliebste Schwester

Titel: Allerliebste Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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mit Champagner zugeprostet, Hände klopfen ihr auf die Schulter, Menschen werden nicht müde, ihr immer wieder zu versichern, dass das Album ein Erfolg werden wird. Im Hintergrund
läuft ihre Musik in der Endlosschleife, Eva möchte für immer in diesem Augenblick baden, möchte, dass der Abend nie zu Ende geht.
    Aber trotzdem geht er zu Ende, um drei Uhr morgens sind fast alle fort, nur eine kleine Gruppe hält sich noch hartnäckig am Tresen fest, die letzten Champagnerflaschen werden geleert.
    »Ich bin müde«, sagt Marlene und legt einen Arm um Evas Taille. »Und du siehst aus, als hättest du auch genug.«
    »Auf keinen Fall«, widerspricht Eva lachend. »Ich habe niiie genug! Jetzt geht’s erst richtig los.«
    »Genau«, pflichtet Tobias ihr bei und nimmt sie von der anderen Seite in den Arm. »Dieser Abend muss gefeiert werden, da können wir nicht schon ins Bett gehen.«
    »Schon?«, fragt Marlene. »Es ist drei Uhr morgens!«
    »Genau die richtige Zeit, um loszuziehen«, stellt Tobias grinsend fest. »Lasst uns auf den Kiez fahren!« Die zwei anderen Freunde, die noch da sind, stimmen zu.
    »Tut mir leid«, sagt Marlene und seufzt. »Ohne mich, ich bin total kaputt und muss dringend ins Bett.«
    »Schade«, Tobias schiebt gespielt schmollend die Unterlippe vor. »Wir waren schon so lange nicht mehr unterwegs, ich hätte echt Lust, mal so richtig auf den Putz zu hauen.«
    »Ihr könnt doch auch ohne mich losziehen«, schlägt Marlene vor. »Ich alte Langweilerin nehme mir ein Taxi und warte auf meinen Mann, damit er mir aufregende Kiez-Geschichten erzählen kann.« Sie lacht und
zwinkert Tobias zu. »Außerdem ist es sowieso besser, wenn jemand auf Eva aufpasst.«
    Zwei Taxen werden gerufen, das eine fährt mit Marlene in die Brahmsallee, das andere bringt vier Feierwütige zur Reeperbahn. Aufgekratzt hockt Eva auf der Rückbank, eingeklemmt zwischen Tobias und dem Tontechniker des Theaters, vorn im Wagen sitzt Evas Produzent. Sie hüpft auf und ab wie ein kleines Kind, die Aufregung scheint gar nicht mehr abzuklingen. Eva will mehr von diesem Gefühl, das ihr mit zweihundert Stundenkilometern durch die Adern schießt. Will sich mehr davon holen, am liebsten so viel, dass sie davon platzen wird.
     
    Auf dem Nachttisch ein leeres Rotweinglas und ein übervoller Aschenbecher. Auf dem Boden Evas Kleid, ihre Schuhe, Strümpfe, BH und Slip. Im Zimmer ist es taghell, die Vorhänge sind nicht zugezogen, das Display des Weckers zeigt 11.56 Uhr.
    Eva setzt sich auf, lehnt sich gegen die Rückwand ihres Bettes. Ihr Blick fällt auf die aufgerissenen Kondompackungen am Fußende. Und auf Tobias, der unter der roten Decke neben ihr liegt und schläft.
    Sie hat es getan. Sie haben es beide getan. Gleich mehrere Male, wieder und wieder, bis die Erschöpfung sie zum Schlafen zwang. Während Marlene in ihrem Haus in der Brahmsallee nichts ahnend im Bett lag, haben sie das Schlimmste, das Unvorstellbarste getan.
    Tobias öffnet die Augen. Einen Moment lang scheint es, als wüsste er nicht, wo er ist. Aber dann setzt er sich
ebenfalls auf, sein Blick schlägt ins Panische um, und Eva weiß, dass er jetzt genau das Gleiche denkt wie sie.
    Er räuspert sich, will etwas sagen. Aber dann fährt er sich nur schnell mit einer Hand durch seine dunklen Haare, beugt sich zur Seite, hangelt nach seinen Boxershorts und zieht sie umständlich unter der Decke an. So sitzen sie beide da, in diesem Lotterbett, und schweigen.
    Im Kopf rauschen die Bilder: Die Clubs, in denen sie waren. In denen sie getanzt und immer mehr getrunken haben. Irgendwann waren sie allein, die anderen hatten genug. Tobias, ausgelassen wie nie, immer wieder nimmt er Eva in den Arm und drückt sie an sich. Bis sie sich auf einmal küssen, hemmungslos, hungrig. Dann mit dem Taxi zu Evas Wohnung in der Neustadt, die Fahrt schon ein einziges Vorspiel.
    Eva will die restlichen Bilder stoppen, will nicht noch einmal sehen, was sie getan hat. Aber es lässt sich nicht anhalten, dieses Bilderkarussell, erbarmungslos prasselt es auf sie nieder.
    »Mein Gott«, flüstert sie. »Oh, mein Gott.«
    »Eva!« Tobias greift nach ihrer Hand, presst sie fest zusammen. Er sieht sie an, immer noch diese Panik. »Marlene darf das nie erfahren.« Eva antwortet mit einem stummen Nicken.
    Tobias nimmt sein Handy, schaltet es ein. Ein eiliger Anruf bei Marlene. Nein, es sei alles in Ordnung, er habe seinen Hausschlüssel im Theater liegen lassen und bei Eva auf dem Sofa geschlafen, weil er

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