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Allerliebste Schwester

Titel: Allerliebste Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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seine Hände nimmt, sie streichelt, vielleicht sogar küsst. Fast ist sie versucht, ihn einfach darum zu bitten, ihr Gefühl sagt ihr sogar, dass er es wahrscheinlich tun würde. Aber sie schweigt. Beim nächsten Mal, denkt sie und hofft, dass es ein nächstes Mal geben wird.
    Langsam gehen sie zurück Richtung Schlüterstraße.
Passanten kommen ihnen entgegen, Jogger, Fahrradfahrer, Studenten, die zur nahe gelegenen Universität eilen, junge Pärchen. Wahrscheinlich sehen wir auch wie ein Paar aus, denkt Eva. Die Vorstellung gefällt ihr. »Die passen gut zusammen«, findet vielleicht die ältere Dame, die ihnen auf Höhe des US-Konsulats begegnet.
    Eva erinnert sich, wie sie vor ein paar Monaten mit Tobias an der Alster spazieren ging. Sie hatte ihn in der Mittagspause bei seinem Büro abgeholt, um mit ihm in einem neuen Babygeschäft in Winterhude einen Kinderwagen auszusuchen. Anschließend gingen sie mit einem roten Modell von Bugaboo nach Hause, Tobias schob den Wagen so stolz vor sich her, als läge bereits ein Baby darin.
    Nur wenige Wochen später musste Tobias den Wagen bei einem Recyclinghof höchstpersönlich in die Müllpresse werfen, weil Eva es verlangte. Zusammen mit all den anderen Dingen, die sie schon für Lukas gekauft hatten, den Stramplern, der Wärmelampe, Wickeltischauflage, Babyschale, Tragetuch, Windeleimer …
    »Warum können wir die Sachen nicht behalten?« Tobias hatte mehrere Male versucht, Eva davon zu überzeugen, dass es Unsinn wäre, alles wegzuwerfen.
    »Weil sie für Lukas bestimmt waren und für niemanden sonst«, insistierte sie stets, und Tobias hatte nur erwidert: »Na gut, wie du willst. Dann kaufen wir eben alles neu, wenn es wieder so weit ist.« Dann, im aufgesetzt aufmunternden Tonfall: »Vielleicht wird’s ja beim nächsten Mal auch ein Mädchen, dann brauchen
wir sowieso Sachen in Rosa und nicht in Blau.« Er wollte sie an sich ziehen bei seinen Worten, aber Eva stieß ihn davon, wütend darüber, dass er es wagte, jetzt schon von einem »nächsten Mal« so reden, als ginge es darum, ein altes Möbelstück durch ein neues zu ersetzen.
    »Ist alles in Ordnung?« Eva zuckt zusammen, als Simon sie aus ihren Gedanken reißt. Er ist stehen geblieben und mustert sie besorgt.
    »Oh«, schnell wischt sie sich mit einer Hand übers Gesicht. »Es ist nur so kalt«, erklärt Eva, »da tränen meine Augen immer leicht.«
    Er lächelt sie an, und sie erwidert die Geste. Nach zehn Minuten erreichen sie die Stelle, an der Eva ihren schwarzen Mini geparkt hat.
    »Den gleichen Wagen fuhr deine Schwester auch«, ruft Simon überrascht aus. Dann: »Tut mir leid, das war jetzt dumm von mir, das weißt du ja sicher selbst.«
    »Ja, natürlich.« Und sie weiß auch, dass es nicht nur der gleiche, sondern sogar derselbe ist. Kurz nachdem die ersten Modelle auf den Markt gekommen waren, schenkte Tobias den Mini Marlene, die ihr kleines »Autochen« vom ersten Moment an liebte. Genau deswegen fährt Eva ihn heute noch immer. Selbst als sie im Frühjahr wegen Lukas einen größeren Wagen brauchten, wehrte sie sich standhaft gegen einen Verkauf, obwohl Tobias der Meinung war, das Fahrzeug sei doch mittlerweile »ein wenig alt«. Sie setzte sich durch, der Porsche kam weg, Marlenes Mini blieb.
    »Das war ein schöner Spaziergang«, sagt Simon jetzt.
Er reicht ihr die Hand, doch dann beugt er sich zu ihr und gibt ihr einen leichten Kuss auf die Wange.
    »Ja, finde ich auch.« Dann fragt sie: »Können wir uns wiedersehen?«
    »Klar. Sicher können wir das.«

9
    Sie hört Tobias leise reden, als sie die Tür zu ihrem Haus aufschließt. Ein Wispern, das aus der Küche kommt.
    »… muss doch eine Möglichkeit geben«, sagt er in eindringlichem Ton. Eva hält inne und lauscht. Mit wem spricht er da? Und worüber? Über sie? »Dieses Verhalten ist nicht mehr normal, ich habe Angst, dass sie … Was soll das heißen, da kann man im Moment nichts machen?« Seine Stimme wird lauter. »Es ist doch mehr als offensichtlich, dass sie mit der Situation nicht klarkommt! Soll ich mit ansehen, wie sie vor die Hunde geht?« Diesen Satz brüllt er regelrecht, Eva zuckt vor Schreck zusammen. Vor die Hunde gehen. Sie fragt sich, woher dieses Sprichwort stammt. Ein lauter Knall, Tobias hat das Telefon auf die Station gedonnert.
    Mit eiligen Schritten stürmt er aus der Küche in den Flur. Bleibt stehen, als er Eva sieht. Sein Gesicht wutverzerrt.
    »Eva!« Er versucht, sich schnell unter Kontrolle zu bringen.

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