Allerliebste Schwester
und ihr von dort aus fröhlich zuzwinkert. Kurz gerät Eva ins Wanken, beinahe stürzt sie, kann sich im letzten Moment noch fangen. Sie will etwas erwidern, aber da wird die Ladentür geöffnet, eine Frau kommt herein, und Marlene ist wieder verschwunden.
Die Zeit bis zum Nachmittag verstreicht rasch, heute drücken sich die Kunden die Klinke in die Hand. Gabriele spricht das Thema Tobias nicht noch einmal an, vielleicht, weil so viel zu tun ist, vielleicht aber auch, weil sie Eva glaubt, dass alles in bester Ordnung sei. Oder weil sie gespürt hat, dass Eva darüber nicht reden möchte.
Eva berät gerade eine Frau, die nach einem besonders spannenden Thriller sucht - sie mag Karin Slaughter und Cody McFadyen, möglichst brutal und blutig, als wäre das Leben nicht schon grausam genug -, als ihr Handy klingelt.
»Einen Moment bitte«, entschuldigt sie sich bei der Kundin, läuft zu ihrer Jacke und holt das Telefon heraus. Es ist seine Nummer. Sie hat ihm ihre Handynummer nach dem Spaziergang an der Alster gegeben. »Kannst du bitte kurz übernehmen?«, ruft sie ihrer Chefin zu. Sie wartet die Antwort erst gar nicht ab, schon ist sie draußen auf der Straße und nimmt Simons Anruf entgegen.
»Hallo?«, meldet sie sich und hofft, dass sie nicht allzu atemlos klingt.
»Hier ist Simon.« Eva muss den Impuls unterdrücken, ein »Ich weiß« zu erwidern. Nein, sie muss sich nicht an irgendwelche Regeln halten. Aber sie muss auch nicht vorschnell verraten, wie sehr sie auf diesen Anruf gewartet hat.
»Ach, hallo!«, antwortet sie beiläufig. »Wie geht’s?«
»Gut«, kommt es zurück, »bin gerade kurz aus dem Büro gegangen und mache eine kleine Pause. Da wollte ich dich einfach mal anrufen und hören, was du so treibst …«
»Na ja, ich bin im Laden und verkaufe Bücher«, erwidert sie und lächelt in sich hinein.
»Sicher, klar …«, er macht eine Pause. »Ich … wie sieht es bei dir denn so in den nächsten Tagen aus, hast du Lust, dass wir irgendwas miteinander unternehmen?«
Er hat gefragt! »Gern«, sagt sie, »ich müsste nur mal kurz nachsehen, wann ich es einrichten kann.« Dann, wenn Tobias es nicht merkt, jetzt, wo er schon wieder so misstrauisch ist . »Ich ruf dich an, ja?«
»Gut. Bis dann.« Sie beenden das Gespräch.
Eva geht einige Schritte die Straße entlang. Wann könnte sie ein paar Stunden unbemerkt verschwinden? Tagsüber, während ihrer Arbeitszeit, ist es schlecht, sie traut Tobias zu, dass er »einfach mal so« im Laden vorbeischaut.
Außerdem hat sie für sich entschieden, dass sie Gabriele nicht einweihen will, niemand soll davon wissen. Am Wochenende geht es auch nicht, Samstag müssen sie zum Geburtstag ihrer Mutter, raus nach Neu-Wulmstorf. Der Sonntag gehört nur uns beiden , sagt Tobias immer. Aber dieser Sonntag soll ihr gehören, wenigstens der Nachmittag, das muss sie irgendwie hinbekommen.
Sie dreht sich um, marschiert wieder in die andere Richtung. Auf Höhe des Geschäfts wirft sie einen Blick durchs Schaufenster, drinnen steht Gabriele und spricht noch immer mit jener Kundin, die es besonders brutal und blutig mag. Kurz blickt ihre Chefin auf, sieht Eva und wirft ihr einen fragenden Blick zu.
Dann hat sie die Idee. Sie nimmt ihr Telefon, wählt die Nummer ihres Mannes, der sofort abnimmt.
»Hallo Schatz!« Er klingt angenehm überrascht, allzu oft ist es in letzter Zeit nicht vorgekommen, dass Eva ihn von sich aus angerufen hat. »Was gibt’s denn?«
»Nichts Besonderes«, meint Eva. »Ich wollte dich nur fragen, ob wir Sonntag nicht mal zum Golfplatz
fahren wollen. Du könntest deine ersten beiden Probestunden einlösen, habe ich mir so überlegt.« Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis er antwortet, so nervös wartet sie darauf, was er sagt.
»Wie kommst du denn gerade jetzt darauf?«, erwidert ihr Mann. Fast will Eva ihn anfahren, dass sie ihm doch einfach nur eine schlichte Frage gestellt hat und nichts weiter als eine schlichte Antwort erwartet. Stattdessen sagt sie:
»Ich habe gerade einen Golf-Ratgeber verkauft, da fiel mir mein Weihnachtsgeschenk an dich ein und ich dachte, ich frage dich, bevor ich es wieder vergesse.« So, denkt sie, ist das nun genug Erklärung für diese scheinbar vollkommen abwegige Idee?
»Guter Vorschlag«, kommt endlich die ersehnte Antwort von ihm, »warum nicht?« Vor Erleichterung entgleitet Eva fast das Handy.
»Soll ich im Club anrufen und reservieren? So gegen drei?«
»Ja, mach das ruhig.«
»Gut, ich kümmere
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