Allerliebste Schwester
sie sich um. Dann schließt sie die Tür auf und betritt die Stille.
Eine Stunde später, Eva hat mittlerweile geduscht, ein Nachthemd angezogen und es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa mit einem Glas Rotwein gemütlich gemacht, hört sie die Haustür klappern.
»Liebling!«, ruft Tobias, »bin wieder da.«
»Ich bin hier«, antwortet sie, »im Wohnzimmer.« Seine Schritte nähern sich, er stößt die Tür auf, kommt zu ihr und lässt sich neben sie plumpsen. Sofort nimmt sie seinen Geruch wahr, so anders als der von Simon, so viel stärker und aufdringlicher. Jemanden nicht riechen können , noch nie hat Eva so klar und deutlich begriffen, was das heißt, am liebsten wurde sie zwei Meter von ihm wegrücken.
»Hallo Schatz.« Tobias gibt ihr einen Kuss zur Begrüßung,
Eva hält dabei die Luft an, bis wieder etwas mehr Abstand zwischen ihnen ist. »Du trinkst Wein?« Eva nickt nur. Tobias steht auf, geht zur Glasvitrine, nimmt ein Glas heraus, schenkt sich ebenfalls Wein ein und kehrt zu ihr zurück. Als er wieder neben ihr sitzt, streift er mit den Füßen seine Schuhe ab, öffnet zwei Hemdknöpfe. »Wie war dein Tag?«
»Entspannt«, sagt Eva, denkt an Simon und unterdrückt ein allzu glückliches Lächeln. »Habe ein bisschen gelesen, Klavier gespielt und Musik gehört.«
»Klingt jedenfalls besser als meiner«, stellt Tobias fest und stößt einen theatralischen Seufzer aus. »In der Agentur war heute der Teufel los.« Er nimmt einen großen Schluck Wein.
»Habt ihr es denn hingekriegt?«
»Denke schon. Aber genau werden wir das erst morgen sehen, wenn wir hören, was der Kunde von unseren Ideen hält.« Tobias streckt und rekelt sich, dann legt er einen Arm um Evas Schulter. Die atmet jetzt etwas flacher. »Wenn das alles so läuft, wie wir es uns vorstellen, haben wir mit einem Schlag schon den ganzen geplanten Jahresumsatz drin.«
»Schön«, sagt Eva, der das alles vollkommen egal ist und die sich auf ihre Atmung konzentriert.
»Das heißt dann aber auch, dass ich in nächster Zeit wieder mehr oder weniger rund um die Uhr arbeiten muss. So gemächlich wie bisher wird es dann nicht weitergehen.«
»Schön«, wiederholt Eva. Ein irritierter Seitenblick von Tobias. »Nein«, korrigiert sie sich, »so meine ich
das natürlich nicht. Es ist schön, wenn die Agentur gut läuft, und ich verstehe doch, dass du dann gefordert bist.«
»Ab Sommer wird es wieder ruhiger werden, in der Urlaubszeit ist ja nie so viel los«, versichert er. »Vielleicht können wir im August ein paar Wochen wegfahren.«
»Schön.« Zum dritten Mal. »Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt«, fährt Eva fort, »dass ich wieder Klavierstunden nehmen könnte. Dann hätte ich neben der Arbeit noch etwas zu tun und würde nicht allein zu Hause rumsitzen.«
»Gute Idee«, findet Tobias, und Eva wagt sich noch ein Stückchen weiter vor.
»Und vielleicht auch Gesangsunterricht. Außerdem habe ich mir überlegt, dass ich gern Französisch lernen würde. Da gibt’s doch sicher Abendkurse an der Volkshochschule oder so.« Jetzt zieht Tobias verwundert die Augenbrauen in die Höhe.
»Da hast du dir aber eine Menge vorgenommen«, stellt er fest. »Ist das nicht ein bisschen viel auf einmal? Ich will nicht, dass du dich überforderst, eins davon reicht doch erst mal, oder?«
Eva zuckt mit den Schultern. »Ja, vielleicht hast du recht.« Sie lehnt ihren Kopf gegen seine Brust, obwohl ihr von seinem Geruch, dieser Mischung aus Aftershave und Schweiß, fast übel wird. »Ich dachte nur … Weißt du, ich glaube, es würde mir helfen …, seit Lukas …« Sie verstummt, lässt den Satz unvollendet in der Luft hängen. Sie schämt sich für diesen Schachzug,
schämt sich, das tote Kind zu benutzen. Und hofft gleichzeitig, dass sie damit die gewünschte Wirkung erzielt.
»Ach, mein Liebling«, ihr Mann umarmt sie, zieht Eva fest an sich. »Wenn du glaubst, dass es dir dann besser geht, habe ich bestimmt nichts dagegen. Ich will doch nur, dass du vergessen kannst, was passiert ist und wir noch einmal von vorn anfangen.«
»Das will ich auch«, erwidert Eva. Sie küssen sich, ganz vorsichtig und zärtlich, so, dass Eva es beinahe mag.
»Ich bin echt hundemüde«, stellt Tobias nach ein paar Minuten fest, »morgen muss ich auch wieder richtig früh raus. Wollen wir schlafen gehen?«
»Sicher«, sagt Eva.
Als sie nebeneinander im Bett liegen und Tobias Evas Taille fest umschlungen hält, stellt sie sich vor, es sei Simon, der sich eng an sie
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