Allerliebste Schwester
da jemanden.«
»Eva«, Gabriele setzt eine mütterliche Miene auf. »Ich weiß ja, dass du eine Krise durchlebst, wer würde das nicht verstehen? Aber meinst du wirklich, dass eine Affäre in dieser Situation das Richtige ist? Ich glaube nicht, dass Davonlaufen funktioniert.«
»Kann ich ihm jetzt sagen, dass wir wegfahren oder nicht?« Evas Ton wird unwirsch. Sie will nicht darüber diskutieren, ob das, was sie tut, richtig oder falsch, verständlich
oder verwerflich ist. Sie will eine Lösung ihres Problems, nicht mehr und nicht weniger.
»Ja, natürlich kannst du das«, versichert Gabriele eilig, bevor sie als schlechte Freundin dasteht, denn das ist sie natürlich auf keinen Fall. »Aber wohin wollen wir denn angeblich fahren?«
»Zu einer Abendveranstaltung für Buchhändler zum Beispiel? Zu einer Lesung vielleicht?« Ihre Chefin lacht.
»Das hast du dir ja fein ausgedacht. Denkst du, dass Tobias dir das glaubt?«
»Warum nicht? Wenn du es ihm bestätigst, sehe ich da kein Problem.«
»Na, hoffentlich. Am Ende bin sonst ich die Blöde, ich will mit der Sache lieber nichts zu tun haben.« Ihr ist anzusehen, dass genau das Gegenteil der Fall ist, sehr gern möchte sie etwas damit zu tun haben, mit dieser kleinen Verschwörung, die etwas Abwechslung in ihr Leben bringt. Seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet, da tut ein wenig Aufregung gut, auch wenn sie nicht in der eigenen Biografie stattfindet. »Bist du dir auch ganz sicher, dass du das willst?«, fragt sie noch einmal nach. Später lässt sich so leichter behaupten, man habe nichts unversucht gelassen, eindringlich vor den Folgen dieses Abenteuers gewarnt.
»Ja, das bin ich.«
»Und mit wem triffst du dich?« Eva schweigt. »Es ist der Mann, der dir das Buch geschenkt hat, habe ich recht?«
»Genau der ist es.«
Gabriele nippt zufrieden an ihrem Milchkaffee.
Die restliche Planung, ein Kinderspiel: Über die Mitwohnzentrale mietet Eva ein möbliertes Appartement an. Eine Woche für zweihundert Euro, das Geld für die nicht genommenen Unterrichtsstunden findet doch noch eine Verwendung. Eine hübsche Zweizimmerwohnung in der Wrangelstraße, tatsächlich in der Nähe des Buchladens und weit genug von der Brahmsallee entfernt. Das müsste schon ein ziemlich großer Zufall sein, der Tobias ausgerechnet in dieses Viertel treibt. Für den Mittwochabend hat sie sich entschieden; sorgfältig bereitet sie alles vor, stellt ein paar Fotos in der Wohnung auf, kauft Lebensmittel ein, hängt einige ihrer Kleidungsstücke in den Schrank im Schlafzimmer.
»Nimm nicht zu viel mit«, kommentiert Marlene, die Eva über die Schulter guckt, als sie in der Brahmsallee einen kleinen Koffer packt. »Sonst fällt es auf.«
»Keine Sorge«, erwidert Eva, »wenn ich mit Gabriele nach einer Lesung im Hotel übernachten müsste, würde ich schließlich auch nicht ohne Gepäck fahren. Außerdem hat Tobias sowieso keinen Überblick über meinen Kleiderschrank.« Die Lüge mit der Autorenveranstaltung hat ihr Mann ohne weiteres geschluckt. Vor allem, da Gabriele am Mittwoch nach Ladenschluss Eva nach Hause bringt, damit diese ihren Koffer abholen kann, bevor sie beide zu einem Ort »irgendwo in der Lüneburger Heide« fahren.
»Viel Spaß euch beiden«, sagt Tobias, als Eva und ihre Chefin in Gabrieles Auto steigen. Er selbst eilt zu seinem BMW, um zurück in die Agentur zu fahren. Eine weitere Spätschicht steht an.
»Den werden wir haben«, ruft Eva ihm durchs geöffnete Fenster noch zu, »morgen Vormittag sind wir wieder zurück.« Im Rückspiegel sieht sie Marlene vergnügt auf der Rückbank sitzen.
»Wo soll es denn jetzt hingegen?«, fragt Gabriele und lässt den Motor an.
»Setz mich einfach an der nächsten Ecke ab, den Rest des Weges kann ich laufen.«
»Wenn das mal nur alles gut geht«, meint ihre Chefin. »So richtig wohl fühle ich mich bei der ganzen Sache nicht, Tobias hat mir eben fast leidgetan.«
16
An diesem Abend schlafen sie nicht miteinander. Nachdem Simon um kurz nach acht gekommen ist, kochen sie in der kleinen Küche Pasta mit Pestosauce, kuscheln sich dann mit ihren Tellern nebeneinander auf das dunkelbaue Sofa im Wohnzimmer, essen und trinken dazu den Weißwein, den er mitgebracht hat. Kein besonders guter Tropfen, wie Eva mit einem Blick auf das Etikett feststellt. Und gerade deswegen umso besser.
»Genauso habe ich es mir bei dir zu Hause vorgestellt«, sagt Simon, nachdem sie ihre leeren Teller in die Küche gebracht haben und mit einem
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