Allerliebste Schwester
Entscheidung. So wie es deine war …« Sie unterbricht sich, lacht. »Sieh dich doch nur an! In dir steckt so viel von mir. Alles hast du aufgegeben, genau wie ich.«
»Aber nicht für Tobias«, flüstert Eva. »Ich habe es für dich getan.«
»Denkst du nicht, dass es langsam Zeit ist zu gehen?« Eva überlegt einen Moment. »Nein«, sagt sie. »Ich kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich bin nicht stark genug. Dafür bin ich noch nicht stark genug.« Marlene mustert sie ungläubig.
»Das klingt nicht nach der Eva, die ich kenne.«
»Ich bin auch nicht mehr die Eva, die du kennst.«
»Aber genau die will ich zurück.«
»Ja«, sagt Eva und schließt ein weiteres Mal die Augen. Vor sich sieht sie Simon, wie er ihr Gesicht in beide Hände nimmt. Ein bisschen mehr noch, ein bisschen mehr davon, und sie wird es schaffen. Das weiß sie, da ist sie sich ganz sicher. »Ich brauche einfach etwas Zeit.«
»Eva?«
Sie liegt allein auf dem Sofa.
Wieder: »Eva?«
Zwei Sekunden später steht Tobias in der Tür. »Ist jemand hier?« Er lässt seinen Blick irritiert durch den Raum wandern, als würde er wirklich meinen, Evas Gesprächspartner irgendwo zu entdecken.
»Nein.« Sie erhebt sich und geht mit einem Lächeln auf ihn zu. »Ich bin allein, habe nur ein bisschen vor mich hin gesungen.« Schnell stellt sie sich auf die Zehenspitzen, gibt ihm einen Kuss auf den Mund. »Gehen wir wieder ins Bett.«
15
Es ist nicht schwierig, sich regelmäßig mit Simon zu treffen. Tobias hat in der Agentur alle Hände voll zu tun, der neue Etat, den sie tatsächlich gewonnen haben, erfordert seine ganze Aufmerksamkeit, oft kommt er erst weit nach Mitternacht nach Hause, sogar an den hochheiligen Wochenenden fährt er jetzt in die Firma. Eva müsste nicht mal die Klavier-, Gesangs- und Französischstunden vorschieben, die sie nun angeblich einmal die Woche abends absolviert, Tobias würde es auch so nicht merken, dass sie nicht zu Hause ist. Aber gut, jedenfalls hat sie einen Grund, ihr Handy auszuschalten, wer will schon mitten im Unterricht gestört werden? Für Tobias scheint das Eheleben wieder in geregelten Bahnen zu verlaufen. Seine Frau wirkt zufrieden, streitet kaum mehr mit ihm, regelmäßig haben sie Sex miteinander. Was will man auch mehr? Nein, Tobias ist nicht das Problem. Simon ist es.
»Warum kannst du nicht einmal die ganze Nacht bei mir bleiben?«, fragt er, als Eva an einem Mittwochabend um zehn nach ihrer »Klavierstunde« aufsteht und Anstalten macht, sich wieder anzuziehen.
»Weil ich am liebsten zu Hause schlafe«, erklärt sie.
»Und wo ist dein Zuhause?«, bohrt er weiter. »Nicht einmal das weiß ich.« Er sitzt im Bett, hat die Arme verschränkt, die Stirn gerunzelt.
»Danach hast du mich noch nie gefragt«, erwidert sie ausweichend.
»Aber jetzt«, er streckt ihr eine Hand entgegen, sie ergreift sie und lässt sich von ihm zurück aufs Bett ziehen, »jetzt frage ich dich danach.«
»In der Nähe des Buchladens«, antwortet Eva.
»Das ist ja sehr konkret.«
»Jede Frau braucht ein Geheimnis.« Sie versucht, ihn mit einem koketten Lächeln vom Thema abzubringen, fängt an, seine nackte Brust zu küssen, und wandert mit ihren Lippen zielgerichtet weiter nach unten. Doch Simon zieht sie am Arm wieder zu sich nach oben, bis sie mit ihm auf Augenhöhe ist.
» Ein Geheimnis?«, wiederholt er. »Ich weiß so gut wie nichts über dich. Wie ein Geliebter, den du versteckst, komme ich mir manchmal vor.«
Sie kichert. »Ist es nicht schön, mein Geliebter zu sein?«
»Doch.« Wenigstens schmunzelt er endlich. »Und auch nicht. Ich möchte nicht immer nur ein paar Stunden mit dir zusammen sein, sondern auch mal eine ganze Nacht, ein ganzes Wochenende. Mal was zusammen kochen, den Abend miteinander verbringen und nebeneinander einschlafen, was man halt so macht.«
»Das werden wir schon noch tun.« Sie sagt es und wünscht sich, dass es keine Lüge sein möge.
»Ja?«
»Ja«, antwortet sie und fragt sich gleichzeitig, wie sie das anstellen soll. Auch wenn Tobias oft erst spät nach Hause kommt - irgendwann kommt er. Und wie könnte sie ihm erklären, dass sie woanders geschlafen hat? Und wo überhaupt wollte sie hin mit Simon? Ein Hotelzimmer würde ihn bestimmt misstrauisch machen und ihn in seinem Gefühl bestärken, dass sie etwas zu verbergen habe.
»Wie wäre es mit morgen Abend?«, schlägt Simon sofort vor, kaum hat sie es in Aussicht gestellt. »Ich könnte zu dir kommen.«
»Morgen ist es
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