Allerliebste Schwester
das Eva und Tobias am Vorabend gegessen haben, bevor die Gäste kamen, die drei Schlucke Champagner, Eva würgt und würgt, bis nur noch Galle kommt, gelbe, glasige Galle, die sie in die Toilette spuckt.
»Eva?« Tobias steht hinter ihr. »Was ist los, geht’s dir nicht gut?« Sie kann nicht antworten, würgt immer weiter, die Übelkeit will nicht verschwinden, mehr und mehr Galle bahnt sich ihren Weg nach oben, Evas Augen tränen, ein Druck im Kopf, als ob er gleich platzen würde. »Soll ich Papa anrufen?« Sie wedelt mit einer Hand hinter ihrem Rücken herum, eine hilflose »Schon-gut«-Geste.
Noch ein paar Minuten spuckt und würgt sie, dann ist es vorbei, Eva drückt die Spülung, lässt sich erschöpft auf den Badezimmerboden sinken.
»Schatz«, Tobias setzt sich zu ihr, nimmt sie in den Arm, streicht ihr das verschwitzte Haar aus dem Gesicht. »Was ist denn los mit dir, fühlst du dich krank?« Eva schüttelt den Kopf.
»Nein«, erwidert sie, obwohl ihr immer noch ein wenig schwindelig ist. »Ich denke, es die Aufregung von gestern, zusammen mit den Medikamenten ist die mir wohl auf den Magen geschlagen.« Sie versucht zu lächeln. »Dazu noch der Champagner, das war vielleicht doch keine so gute Idee.«
»Du solltest dich besser wieder hinlegen«, stellt Tobias
fest, erhebt sich und hilft seiner Frau aufzustehen. Während sie sich die Zähne putzt, um den ekelhaften Geschmack im Mund loszuwerden, stützt er sie, streicht ihr immer wieder besorgt übers Haar. Noch etwas wackelig ist Eva auf den Beinen, als Tobias sie zurück ins Bett bringt und sie zudeckt. »Möchtest du einen Tee trinken oder irgendetwas anderes?«
»Nein, ist schon gut. Am liebsten möchte ich einfach nur schlafen.«
»Dann tu das, ich such nur schnell ein paar Anziehsachen zusammen und fahr dann einfach schon ins Büro. Oder möchtest du, dass ich hierbleibe?« Wieder schüttelt sie den Kopf.
»Ist nicht nötig, mir geht’s schon wieder viel besser. Ich glaube, es war wirklich der Champagner.« Tobias lächelt, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.
»In Zukunft werden wir aufpassen, solange du die Medikamente nimmst, solltest du besser keinen Alkohol trinken.«
»Ja, das ist wahr.« Noch ein Kuss auf die Stirn, die Versicherung, dass er schon am Mittag wieder zurückkehren werde, weil er ja sowieso ziemlich früh in der Agentur sein werde und dann lieber nicht so lange bliebe, um nach ihr zu sehen. Dann dreht Eva sich seufzend zur Seite, schließt die Augen und zieht die Decke ganz fest um ihren fröstelnden Körper.
Sie wartet. Lauscht auf die Geräusche im Haus, im Bad läuft die Dusche, kurz darauf sind Tobias’ Schritte draußen im Flur, dann unten in der Halle zu hören, eine
Viertelstunde später klappt die Eingangstür zu, nur wenige Augenblicke später hört sie, wie ihr Mann den Motor des reparierten BMWs startet und davonfährt.
Fast genau so schnell wie vorhin springt sie wieder aus dem Bett, stürzt ins Badezimmer. Doch diesmal geht sie nicht auf die Knie, nein, jetzt reißt sie den Spiegelschrank auf, so hektisch, dass der Becher mit Zahnpasta und -bürsten zu Boden geht, eine halb volle Packung mit Tampons fällt ihr entgegen, der Inhalt kullert über die Fliesen. Fahrig wandern ihre Hände durch die Regale, bis sie finden, wonach Eva sucht. Sie nimmt die längliche Packung, öffnet den Karton, reißt dann die Folie auf, die das Stäbchen vor Feuchtigkeit schützt. Zur Toilette, Eva klappt den Deckel hoch, setzt sich hin, zieht die Kappe von dem stiftförmigen Messgerät ab und hält die Spitze, die den Urin absorbieren soll, zwischen ihre Beine.
Fünf Minuten später ist das Ergebnis da. Der Champagner. Eva lacht laut auf. Nein, der Champagner ist es nicht gewesen, nicht diese drei kleinen, lächerlichen Schlückchen!
21
Mehr als drei Wochen dauert es. Drei zähe, lange Wochen, bis der Nebel und die Trägheit aus Evas Kopf verschwinden, sie wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Und klar sind sie jetzt, ihre Gedanken, klarer vielleicht als jemals zuvor. Die Tabletten und Kapseln hat sie nicht mehr genommen, nicht mehr seit dem Morgen, als sie auf Knien vor der Toilette lag. Stück für Stück hat Eva sie in die Kanalisation hinuntergespült, jeden Abend eine Ration, damit Tobias nicht merkt, dass sie ihre Medikamente abgesetzt hat. Natürlich schluckt Eva sie nicht länger, auf keinen Fall wird sie etwas tun, das dem Leben, das da in ihr heranwächst, schaden könnte.
Sie fragt sich, warum es ihr nicht
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