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Allerseelen

Allerseelen

Titel: Allerseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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zweihundert Jahre, sondern die fünfhundert Tage, die jemand in seiner eigenen Gruft eingesperrt war, historische Zeit wurde eine obszöne Abstraktion neben einem, dessen Gehirn durch ein Restaurant gepustet wurde, und natürlich, die abstrakte Nachwelt bräuchte dieses Gehirn nicht im Fernsehen zu sehen, wie sie es hier in der Hotelhalle taten, sie würde ihr historisches Gericht in Statistiken vorgesetzt bekommen, in nie mehr rückzuübersetzenden Zahlen und mit Fußnoten gespickten Spezialstudien. Die Rechnung war dann längst beglichen. Und auch das hatte sie einkalkuliert. Eines Tages würde es niemanden geben, der das noch wußte, dann konnte das Lachen erst richtig beginnen. Er fragte sich, ob sie jetzt wohl dieselben Bilder sah, und wußte, er würde es erst wissen, wenn er sie gefunden hatte. Verschwunden war sie, wie an diesem Abend in Lübars, wie einen Deppen hatte sie ihn sitzenlassen. Die alte Frau, die den ganzen Abend, ein zusammengeknülltes Taschentuch in der Hand, neben ihm gesessen hatte, erhob sich und kehrte mit einem Glas für sich selbst und einem verwegen vollen Kognakglas für ihn zurück.
    »En este mundo no hay remedio«, sagte sie, »vivimos siempre entre asesinos y demonios.«
    Dämonen. Durch das Spanisch erhielt das Wort plötzlich eine andere Geladenheit, ein Menschenschlag, mit dem man sich die Welt teilen mußte, Dämonen, die aussahen wie Menschen und neben einem saßen an einer Bar oder in einem Flugzeug und von einer Sache so überzeugt waren, daß sie den Tod, ihren eigenen wie den anderer, stets mit sich trugen.
    Am nächsten Morgen rief er noch einmal bei Daniel an, und diesmal erwischte er ihn.
    »Wo bist du? Du weißt auch genau, wann du kommen mußt. Hast du’s im Fernsehen gesehen? Dieses Land ist mit den Nerven runter.«
    »Ich bin ganz in der Nähe. Ich fahre heute nach Sigüenza.«
    »Bleib noch ein bißchen weg. Ich bekomme das ganze Haus voller Leute, die ich nicht wegschicken kann. Gib mir ein paar Tage Zeit. Sie haben keine Papiere. Geh zum Doncel und frag, ob du dir sein Buch leihen darfst. Du kennst ihn doch?«
    »Ja.«
    Der Doncel war eine Figur in der Kathedrale von Sigüenza, ein junger Mann, der mit einem Buch auf seinem eigenen Grab saß.
    »In drei Tagen kannst du hier in die Wohnung. Hast du Geld …?«
    »Mach dir keine Sorgen.«
    »Geh solange ins Hotel de Mediodía. Es sieht teuer aus, aber es kostet nichts. Höchstens 5000 Peseten. Das muß dir allein schon der Name wert sein. Dann ruf ich dich dort an, oder du mich. Was hast du hier vor? Irgendwas Besonderes?«
    »Nein, nein. Dasselbe wie immer.«
    Das stimmte nicht, er hörte es an seiner eigenen Stimme.
    Daniel auch, denn er sagte: »Kann ich sonst noch was für dich tun?«
    Arthur zögerte.
    »Wo findet man jemanden, der an einer historischen Studie arbeitet?«
    »Das hängt davon ab, woran er arbeitet. Wie du weißt, gibt’s hier jede Menge Geschichte. Das Nationalarchiv ist hier, in Madrid, in der Calle de Serrano. Und dann gibt es Simancas, aber das ist ungefähr zweihundert Kilometer von hier. Da wird so ungefähr ganz Spanien aufbewahrt, mit Ausnahme des Mittelalters, glaube ich. Und dann natürlich noch all die örtlichen, provinzialen und kirchlichen Archive. Und der Bürgerkrieg ist wieder woanders. Und die Gewerkschaften. Und so weiter. Sehr viel Papier, da kannst du loslegen, es hängt ganz davon ab, was du suchst. Wir sind in Sevilla, im Archivo Real de las Indias. Aber das suchst du nicht, nehme ich an.«
    Es war keine Frage, er nahm es an. Wir, das bedeutete Nicaragua. Und wenn Arthur nicht erzählen wollte, worum es ging, würde Daniel auch keine Fragen stellen. Irgend etwas mußte er aber doch verstanden haben, denn er sagte ermutigend: »Okay, cabrón, ich leg jetzt auf, ich muß mich um meine Kinder kümmern. Fang beim Anfang an, in der Calle de Serrano. Das liegt schließlich am nächsten. Es gibt immer Leute, die das Große Los gewinnen, und das mit nur einer Zahl Unterschied zu denen, die es nicht gewinnen, ein Rätsel. Suerte, wir telefonieren.«
    Seine Kinder, das waren natürlich ein paar Illegale, die hier in Spanien arbeiten wollten. Daniel (»mein zweiter Name ist Jesús, den hab ich schließlich nicht umsonst«) war vielleicht wirklich so etwas wie ein moderner Heiliger, der ihm bei diesem Wort wahrscheinlich am liebsten eins mit seiner Eisenhand übergezogen hätte. Und cabrón bedeutete Arschloch, aber Daniel durfte das sagen.
    Als er nach Sigüenza kam, sah er die

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