Alles auf Anfang Marie - Roman
ein Auto kommen und vor unserer Garage halten. Als ich mich aufrichtete, sah ich Henning schon aussteigen und hatte spontan den Eindruck, es ginge ihm nicht gut.
»Hallo!« Ich ging ihm entgegen und musterte ihn noch mal verstohlen. »Du bist aber früh!«
»Ach ja«, sagte er müde. »Ich hatte keine Lust mehr. Die letzten Tage hab ich immer bis spät in den Abend gearbeitet, da kann ich mir mal einen halben Tag gönnen.«
»Na klar«, sagte ich. »Hast du schon was gegessen?«
»Nein, ich bin durchgefahren. Aber ich habe auch nicht wirklich Hunger. Du könntest mir höchstens eben eine Fleischbrühe machen.«
Fleischbrühe war in unserer Familie das Codewort für Magenprobleme. Ich kannte das seit langem. Henning hatte immer schon einen empfindlichen Magen gehabt. Stress machte sich sofort auf diese Weise bemerkbar. Er musste möglichst regelmäßig und möglichst reizarm essen. Wie würde das wohl in China werden? Waren Hühnerfüße die chinesische Antwort auf Bouillon?
»Mach ich doch sofort«, sagte ich und ging in die Küche, um den Wasserkocher anzustellen. In der Packung war nur noch ein einsamer Brühwürfel, ich musste also dringend Nachschub besorgen. Rasch notierte ich das auf meinem Einkaufszettel.
Ich kredenzte ihm die Fleischbrühe in einer Suppentasse, zusammen mit einem Stück Brot. Wie immer. »Danke, Marie«, sagte er und setzte sich.
Ich setzte mich ihm gegenüber und studierte kritisch die tiefen Linien in seinem Gesicht. Es war jetzt nichtdie richtige Zeit, ein Gespräch zum Thema China anzufangen.
»Wieso bist du nicht bei deiner Patenfamilie?«, fragte er. »Ich dachte, du kochst für die immer Mittagessen.«
»Sagen wir, das Projekt ist beendet«, sagte ich.
»Na so was.« Er nippte vorsichtig an der Brühe, die anfangs immer furchtbar heiß war. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich daran verbrannt hätte. »Was ist passiert?«
»Wie kommst du darauf, dass etwas passiert ist?«, gab ich möglichst harmlos zurück.
»Weil ich dich kenne. Du gibst normalerweise nicht so schnell auf, wenn du etwas angefangen hast.«
»Vielleicht bin ich weiser geworden? Höre mehr auf meine Berater?«
Er biss von dem Brot ab und kaute ausgiebig. »Wie viele Berater hast du denn? Gibt es da was, das ich nicht weiß?«
Mein Fehler. Ich hatte auf keinen Fall mit einem Reizthema anfangen wollen. Und dass Hannes Hoffmeister ein Reizthema war, wusste ich ja schon. »Na ja …«
Er sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Komm schon, Marie. Du warst noch nie gut darin, mir was vorzuenthalten.«
Vielleicht sollte ich mir mehr von Hilde abgucken, dachte ich. Ich war mir nicht so sicher, welche Teile meiner Geschichte er mögen würde und welche eher dazu geeignet waren, seine Magenkrämpfe noch zu verstärken.
»Ich trinke ab und zu einen Kaffee mit Hannes Hoffmeister.«
»Und?«, fragte er provozierend. »Tut er immer noch einen Schuss Mariacron rein wie früher?«
»Nicht dass ich wüsste. Aber er erzählt mir jedes Mal,dass ich einen Fehler mache, wenn ich für Nicole Nowakowski so viel tue.«
»Na, das ist ja ein Ding. Ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann in meinem Leben noch mal mit Hannes einer Meinung sein würde.«
»Immerhin ist er nicht ganz so sarkastisch wie du.« Ich stand auf und stellte die Kaffeemaschine an. Mir war plötzlich klar, dass ich mit Hannes vermutlich heute meine letzte Tasse getrunken hatte, denn auch wenn wir uns in sehr freundschaftlicher Atmosphäre getrennt hatten, sah ich doch keine Veranlassung, extra zu einem Besuch bei ihm in den Hammerweg zu fahren.
»Entschuldigung. Ich weiß nicht warum, aber es scheint so, als hätte ich immer noch ein Problem mit ihm.«
»Vielleicht wäre das schnell erledigt, wenn du dich mal mit ihm unterhalten würdest. So übel ist er nicht.«
»Mag sein«, meinte Henning, aber er sah nicht so überzeugt aus. »Aber das wird wohl nicht passieren. Nun ja, immerhin hat er offensichtlich geschafft, was mir nicht gelungen ist – er hat dich davon überzeugt, diese Nowosibirskis sich selbst zu überlassen. Was hat er, das ich nicht habe?«
Es sollte locker klingen, aber es konnte gut sein, dass sich dahinter immer noch alte Wunden und offene Rechnungen verbargen. Deshalb entschloss ich mich, ihm alles zu erzählen. Vor allem die Episode mit Maik. »Ich habe mich nicht wegen Hannes so entschieden, sondern weil sich die Lage verändert hat.«
Vielleicht lag es an seinem Magen, aber Henning reagierte deutlich
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